Zum Hauptinhalt springen

Der Praktikant

Donald Trumps Schwiegersohn, Jared Kushner, hat den Nahen Osten mit den Abkommen zwischen Israel und zwei Golfstaaten umgepflügt. Zugetraut hätte ihm das niemand.

Von Gisela Dachs, Tel Aviv

Nichts hatte Jared Kushner dafür prädestiniert, als grosser Vermittler im Orient zu agieren. Ausser die Tatsache, dass er verheiratet ist mit der Tochter des Präsidenten und dessen Vertrauen geniesst. So machte Donald Trump, der kaum jemandem über den Weg traut, seinen Schwiegersohn zum engsten Berater, ernannte ihn zum Chef des Wahlkampfs, gab ihm eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von Covid-19 und betraute ihn mit der Lösung eines weiteren Problems: des Nahostkonflikts. Das Management im Weissen Haus ist längst zur absoluten Familienangelegenheit mutiert. Kompetenzen sind Nebensache.

Jared Kushner stand diese Woche etwas im Abseits, als im Weissen Haus gleich zwei Abkommen feierlich unterzeichnet wurden. Dabei war es Kushner, der sie vermittelt hatte. Doch er überliess die Bühne ganz seinem Schwiegervater. Er weiss, dass am Ende Trump im Rampenlicht stehen muss, und er ist willig, im Hintergrund für ihn zu arbeiten. Gemäss den Abkommen werden die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain ihre Beziehungen zu Israel normalisieren, bevor die palästinensische Frage gelöst ist. Damit ist ein arabisches Tabu gebrochen.

Er wollte es dem Vater recht machen

Kushners Karriere ist kurz und steil: Jahrgang 1981, Studium in Harvard (nach einer grosszügigen Geldspende seines Vaters für die Elite-Universität), Kauf eines Zeitungsunternehmens (mit 25 Jahren), Immobilienentwickler (mit zweifelhaftem Erfolg), Präsidentenberater. Obwohl er aus privilegiertem Hause in New Jersey stammt, wurde Kushner nie vom Establishment akzeptiert, dieses Schicksal teilt er mit seinem Schwiegervater.

Der hochgewachsene Amerikaner gilt als ein höflicher Mensch, er hat ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und sieht stets aus wie aus dem Ei gepellt. Er sei jemand, der sich in der Öffentlichkeit nicht aus der Fassung bringen lasse. Er hat auch kein Twitter-Konto. Seine Kritiker, und davon gibt es unzählige, halten ihn für ignorant. Ein ehemaliger Diplomat in Washington, der anonym bleiben möchte, bezeichnet Kushners Beschäftigung als das «bedeutendste Praktikum der Welt».

Kushner ist der älteste Sohn des Immobilienmagnaten Charles Kushner. Der Vater gilt als äusserst schwierig. Früh musste Kushner lernen, Wutausbrüche stoisch abzufedern und zu vermeiden, deren Zielscheibe zu sein. Einflussreiche Männer gingen zu Hause ein und aus. Kushner wollte zeigen, dass er mit ihnen gleichziehen konnte.

Dass Trump anfangs nicht begeistert gewesen sein soll, als seine Tochter Ivanka ihm ihren künftigen Ehemann vorstellte, muss ihn getroffen haben. Wieder war da ein Mann, vor dem er sich beweisen musste. Kushner entsprach nicht Trumps Vorstellung von einem richtigen Mann, Trump machte sich über Kushners hohe Stimme lustig. Dessen unverrückbare Loyalität zu Trump mag sich dadurch erklären, dass er immer noch um Akzeptanz ringt, auch wenn ihn Trump längst zum Liebling erklärt hat.

Geprägt haben ihn dabei auch seine Grosseltern. Sie sind Holocaustüberlebende und einst als polnische Flüchtlinge ins Land gekommen. Die Familie engagierte sich für jüdische Bildungseinrichtungen und Organisationen sowie Synagogen. Ihr Judentum und ihre Unterstützung für Israel seien deckungsgleich gewesen, erzählten Freunde, es ging darum, das Überleben zu sichern. Bei Wahlen gab man die Stimme den Demokraten. Enttäuscht von Barack Obamas Israel-Politik, hat Jared Kushner 2012 dann aber dessen Herausforderer Mitt Romney unterstützt.

Den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu kennt er schon lange. Ihn hat er schon als Teenager zu Hause kennengelernt. Für den Gast aus Israel, der zu dieser Zeit zum ersten Mal Regierungschef war und seinen Vater gut kannte, musste er damals sein Zimmer räumen. In der Hauseinfahrt, heisst es, hätten die beiden damals Basketballkörbe um die Wette geworfen. Als Kushner ins Weisse Haus aufstieg und sich des Nahen Ostens annehmen sollte, sei Netanyahu alles andere als begeistert gewesen, schreibt Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater John Bolton in seinem neuen Buch. «Wie viele andere, fragte auch er sich, warum Kushner dachte, dass er erfolgreich sein könnte, wo andere Kaliber wie (etwa Henry) Kissinger gescheitert waren.»

Kushner ignorierte die Zweifel und machte sich an die Arbeit, traf sich mit Leuten, die sich auskennen, hörte ihnen zu und entwarf eine Handlungsstrategie, die sich klar absetzte von den Versuchen seiner Vorgänger. Im Unterschied zu den anderen Vermittlern gab Kushner nicht mehr vor, unparteiisch zu sein. Er machte Politik für Netanyahu. Drei Jahre lang pendelte er hin und her zwischen Washington und der Region, sparte dabei die relevanten Vertreter der Palästinenser im Westjordanland weitgehend aus und legte schliesslich ein 18-seitiges Papier vor – den lange angekündigten «Jahrhundert-Deal», der Israeli und Palästinenser ein für alle Mal auf den Weg der Versöhnung bringen sollte.

Der Deal scheiterte. Die Palästinenser blieben dem für sie eigens anberaumten Wirtschafts-Workshop «für eine Zukunft mit Wohlstand» in Manama fern, aus Sorge vor einem Ausverkauf ihrer Interessen und aus Zorn über den Umzug der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, den Kushner unterstützt hatte. Auch die israelische Rechte war alles andere als begeistert von dem Plan, der zwar eine sehr reduzierte Definition eines Palästinenserstaates in Aussicht stellte, aber immerhin an der Zweistaatenlösung festhielt.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Kushner warf die Flinte nicht ins Korn, sondern änderte sein Ziel. Anstatt weiter erfolglos zwischen Israeli und Palästinensern zu vermitteln, richtete er den Blick auf den Golf. Was als ein Akt der Verlegenheit begonnen haben mag, führte zu dem gerade besiegelten Paradigmenwechsel, der nicht wenige Kenner der Region überraschte. Kushner nennt es eine «Rechtfertigung für all die unorthodoxen Schritte, die Trump unternommen hat». Um die Emirate mit den Israeli zusammenzubringen, musste er aber gar nicht mehr so viel tun, da sich das Koordinatensystem der Region spätestens seit dem Arabischen Frühling verändert und längst neue Allianzen möglich gemacht hat. Kushner habe das Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um Nägel mit Köpfen machen zu können, formuliert es ein ehemaliger amerikanischer Diplomat.

Trump und seinem Schwiegersohn gehe es nur um «arabisches Geld und Waffenkäufe», schrieb der einstige Nahost-Unterhändler Aaron Miller, wobei die autoritären Regimes am Golf nur zu gerne bereit seien, einem selbst zur Autokratie neigenden Präsidenten zu gefallen. Kushner entgegnete den Kritikern, sie seien bloss neidisch. Die Abkommen seien «ein grosser Gewinn für alle Länder, die gegen jene sind, die die Region radikalisieren wollen.» Gemeint ist Iran. Offen ist die Frage, ob demnächst auch dessen mächtigster Gegenspieler, Saudiarabien, mit auf den Zug aufspringt und die Beziehung mit Israel normalisiert. Was den jungen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman noch von diesem Schritt zurückhält, mag sein betagter Vater, König Salman, sein, der die Palästinenser nicht vergessen hat. Kushner unterhält gute Kontakte zum saudischen Kronprinzen, ebenso wie zu Mohammed bin Zayed, dem mächtigsten Mann der Emirate. Alle drei sind im ähnlichen Alter und getrieben vom Profitdenken. Kushner wird in Washington denn auch als «amerikanischer Prinz, der sich gut versteht mit den anderen Prinzen» verspottet. Kushner ist auch befreundet mit dem höchst einflussreichen 46-jährigen Botschafter der Emirate, Yousef al-Otaiba. Der war es denn auch, der im vergangenen Juni einen entscheidenden Artikel in der israelischen Tageszeitung «Yedioth Aharonot» veröffentlichte. Dort stellte der Botschafter in den USA offizielle Beziehungen zu Israel in Aussicht, sollte Netanyahu auf die angekündigte Annektierung des Westjordanlandes verzichten.

Es sieht so aus, als habe sich der Schwiegersohn in diesem Punkt dann einmal klar durchgesetzt gegen Trump. Anders als andere einflussreiche Stimmen im Weissen Haus war Kushner gegen die Annexion. Nur so konnte es zum Durchbruch kommen. Am Ende brachte er die Seiten dazu, gemeinsame Interessen wichtiger zu nehmen als die Ideologie eines Gross-Israel und panarabische Solidarität mit den Palästinensern.

Es ist zu früh, um abzusehen, ob und welche Dynamiken sich daraus entwickeln. Ein Ziel hat Kushner aber bereits erreicht. Er hat dem Schwiegervater einen lang ersehnten Erfolg in der Aussenpolitik beschert.


 

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag» vom 20.9.2020.

Wir geben ihn mit der freundlichen Genehmigung der NZZaS und der Autorin wieder.