Geschichte und Hintergründe
Hamas' Krieg gegen Israel
Am Freitag, 30. März 2018, haben palästinensische Extremisten des Gazastreifens eine von Gewalt begleitete Kampagne begonnen, die bis zum 14. Mai 2018 andauern soll. Mit Ausschreitungen an der Grenze zu Israel sowie der Absicht, den Grenzzaun zu überwinden und nach Israel einzudringen, versuchen die Aktivisten, ihr Ziel zu erreichen – die «Rückkehr» in die im Angriffskrieg von fünf arabischen Armeen zur Vernichtung des eben gegründeten Staates Israel in den Jahren 1948/1949 verlassenen israelischen Gebiete. Ein summarischer Rückblick soll die Entwicklung aufzeigen, die über Jahrzehnte zur heutigen Situation zwischen dem Staat Israel und der terroristischen Hamas führten.
Von Rolf Koch, Vizepräsident und Webmaster GSI – 7. April 2018
Vor 70 Jahren: Gründung des Staates Israel
Die UNO-Generalversammlung hatte am 29. November 1947 einem Teilungsplan (Resolution 181) zugestimmt. Die Resolution sollte den Konflikt zwischen arabischen und jüdischen Bewohnern des britischen Mandatsgebiets Palästina lösen. Sie beinhaltete die Beendigung des britischen Mandats über Palästina und sah vor, das Gebiet in einen Staat für Juden und einen für Araber aufzuteilen.
33 Staaten stimmten für die Resolution, darunter die Sowjetunion, die USA und Frankreich. 13 stimmten dagegen, darunter die sechs arabischen Mitgliedsstaaten Ägypten, Iran, Irak, Libanon, Saudi-Arabien und Syrien. 10 enthielten sich der Stimme, darunter Grossbritannien und die Republik China. Die Schweiz war damals noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen.
Am Tag nach der Erklärung der Unabhängigkeit, am Samstag (Schabbat), 15. Mai 1948, kurz nach Mitternacht, griffen Ägypten, Syrien, der Libanon, Jordanien und der Irak das noch schwache und schlecht gerüstete Israel an. Der zahlenmässig noch geringen Bevölkerung gelang es unter schweren Verlusten, den sogenannten Unabhängigkeitskrieg siegreich zu beenden. Israel schloss im Juli 1949 unter Vermittlung der UNO Waffenstillstandsverträge mit den Angreifern ab.
Jordanien hatte in diesem Krieg Ostjerusalem und das heutige Westjordanland erobert und besetzt; Ägypten hatte den Gazastreifen besetzt und übte bis 1967 die Verwaltungsherrschaft über dieses Gebiet aus.
Der Sechstage- und der Jom-Kippurkrieg
Am 5. Juni 1967 wollte Ägypten mit einem massiven Angriff – 1'000 Panzer und 100'000 Soldaten standen an der Grenze bereit – das 1948/1949 verfehlte Ziel der Vernichtung des Staates Israel erreichen. Israel sicherte sich mit einem Präventivschlag gegen die Luftwaffenbasen Ägyptens gleich zu Beginn die Lufthoheit und damit einen strategischen Vorteil. Die ägyptischen Truppen wurden zurückgeworfen; Israel besetzte den Gazastreifen und die ganze Sinaihalbinsel.
Jordanien, das einen Verteidigungspakt mit Ägypten geschlossen hatte, griff Westjerusalem an, verlor jedoch den Waffengang gegen Israel und damit Ostjerusalem und das ganze Westjordanland. Israel griff Syrien an, dessen Staatsgebiet bis an das östliche Ufer des Sees Genezareth reichte und das über lange Zeit die Bewohner Galiläas von den Golanhöhen herab terrorisiert hatte. Israel eroberte die Golanhöhen und annektierte sie 1981. Der Krieg dauerte bis zum 10 Juni 1967 und endete erneut mit Waffenstillstandsabkommen.
Am 6. Oktober 1973, an «Jom Kippur», dem höchsten jüdischen Feiertag, griffen Ägypten auf dem Sinai und Syrien auf den Golanhöhen überraschend Israel an. Während der ersten zwei Tage rückten die Streitkräfte Ägyptens und Syriens vor, danach aber wendete sich der Kriegsverlauf zugunsten der Israelis, die zunächst ihre Truppen hatten mobilisieren müssen. Nach der zweiten Kriegswoche waren die Syrer vollständig aus den Golanhöhen abgedrängt worden. Im Sinai waren die israelischen Streitkräfte derweil zwischen zwei ägyptischen Armeen durchgebrochen, hatten den Suezkanal (die alte Waffenstillstandslinie) überschritten und eine ganze ägyptische Armee abgeschnitten, bevor der UNO-Waffenstillstand am 24. Oktober 1973 in Kraft trat.
Im Rahmen der Friedensschlüsse zwischen Ägypten (26.3.1979) und Jordanien (26. Oktober 1994) einerseits und Israel anderseits verzichteten die beiden Staaten auf ihre Ansprüche auf den Gazastreifen und das Westjordanland.
Israel zieht sich aus dem Gazastreifen zurück
Israel hatte nach der Eroberung des Gazastreifens im Jahre 1967 begonnen, dieses Gebiet zu besiedeln. 2005 setzte der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon nach langen innenpolitischen Auseinandersetzungen jedoch den Abzug aller Israelis durch, aller Zivilisten (d.h. die rund 8'000 Siedler) und Militärs, verbunden mit dem Abbau aller israelischen Siedlungen. Am Morgen des 12. September 2005 verliess der letzte israelische Militärkonvoi den Gazastreifen. Damit endete die Präsenz der Israelis im Gazastreifen nach 38 Jahren, während die Grenzen bis auf die zu Ägypten nach wie vor unter israelischer Kontrolle verblieben. Israel versorgt seither die Bevölkerung des Gazastreifens weiterhin mit Wasser, Elektrizität, Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs, die täglich über den Grenzübergang Keren Schalom geliefert werden.
Nach dem Abzug der Israelis setzten heftige innerarabische Kampfhandlungen vereinzelter arabischer Klans und den palästinensischen Bewegungen Hamas (1987 gegründet) und Fatah (1959 gegründet) untereinander ein. Der Kampf um die von den Israelis freigegebenen Gebiete wurde blutig ausgetragen, viele Hundert arabische Zivilisten starben. Zugleich nahmen die Anschläge auf israelisches Territorium zu; vermehrt wurden Raketen und Anschläge registriert.
Die Hamas - Herrscherin über den Gazastreifen
Im Januar 2006 gewann die Hamas bei den Parlamentswahlen der Palästinensischen Autonomiegebiete mit 76 von 132 Sitzen die absolute Mehrheit. Aufgrund anschliessender internationaler Isolation war die Hamas jedoch gezwungen, im September 2006 in eine Regierung der Nationalen Einheit mit der verfeindeten Fatah einzuwilligen. Die Spannungen zwischen der islamistischen Hamas und der religiös gemässigteren aber mit Korruptionsvorwürfen belasteten Fatah hielten jedoch an und erreichten im Juni 2007 einen neuen Höhepunkt. Im Kampf um den Gazastreifen gelang es der Hamas, die Fatah aus dem Gebiet zu vertreiben. Die Hamas erhob für sich den alleinigen Machtanspruch und regiert seitdem faktisch den Gazastreifen.
Die Hamas hat namentlich das in ihrer Charta festgeschriebene Ziel, den Staat Israel mit militärischen Mittel zu vernichten, nicht aufgegeben. Ihr militärischer Arm verübt seit 1993 Selbstmordattentate und andere Angriffe, die überwiegend gegen israelische Zivilisten und Soldaten gerichtet sind. Mit unterschiedlicher Intensität greifen die Hamas und in jüngerer Zeit auch kleinere Terrorgruppen den Süden Israels durch Raketenbeschuss an.
Die Hamas wird nebst von Israel auch von der Europäischen Union, den USA und anderen – auch arabisch-muslimischen – Staaten, nicht jedoch von der Schweiz als terroristische Vereinigung eingestuft.
Israelische Waffengänge gegen die Hamas im Gazastreifen
Zweimal kam es zu Waffengängen zwischen Israel und der Hamas. Am 27. Dezember 2008 begann die israelische Armee als Reaktion auf den fortwährenden Raketenbeschuss Israels durch die Hamas die «Operation Gegossenes Blei (Operation Cast Lead)» mit Luftangriffen auf Hamas-Ziele. Am 3. Januar 2009 leitete Israel eine Bodenoperation ein, unterstützt durch die Luftwaffe und die Marine. Ziel war die Vernichtung von Raketen-Abschussrampen der Hamas, während die Hamas mit weiteren Raketen und Mörsergranaten die Zivilbevölkerung Südisraels, inklusive die Städte Be'er Scheva und Aschdod, angriff.
Die Kampfhandlungen wurden durch einseitige Waffenstillstandserklärungen durch Israel vom 17. Januar 2009 und von der Hamas vom 18. Januar 2009 vorläufig beendet. Israel zog seine letzten Truppen am 21. Januar 2009 ab.
Der regelmässige Beschuss Südisraels durch Raketen aus dem Gazastreifen, die Ermordung dreier israelischer Jugendlicher und der mutmassliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen waren Auslöser für eine erneute Eskalation im Juli 2014. Nach Verhaftungen von Verdächtigen intensivierte sich der Raketenbeschuss auf Israel. Als Antwort startete das israelische Militär am 8. Juli 2014 die «Operation Schutzlinie (Operation Protective Edge)». Während diesen Kampfhandlungen feuerten die Hamas und andere militante Organisationen weit über 1'000 Mörsergranaten und Raketen auf das gesamte israelische Staatsgebiet ab. Erstmals erreichten Raketen aus dem Gazastreifen damit auch den Norden Israels. Die israelische Armee bombardierte über 1300 Ziele im Gazastreifen. Am 26. August trat eine unbefristete Waffenruhe in Kraft.
Die palästinensischen Flüchtlinge
Die Ausschreitungen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel stehen unter dem Motto «Marsch der Rückkehr». Die Aktivisten fordern ein Recht auf Rückkehr in die Gebiete des heutigen Staates Israel innerhalb der Waffenstillstandslinien von 1949 für Palästinenser, die und namentlich deren Vorfahren 1948/1949 im Angriffskrieg von fünf arabischen Staaten gegen Israel flüchteten oder vertrieben wurden.
Vor und während des Unabhängigkeitskriegs 1948/1949 verliessen über 700'000 Araber das vormalige britische Mandatsgebiet und wurden durch die benachbarten arabischen Staaten in Flüchtlingslagern untergebracht und werden zum Teil bis heute als Waffe in ihrem Krieg gegen Israel missbraucht. Die Araber, die damals blieben, erhielten die israelische Staatsangehörigkeit. Zur gleichen Zeit wurden gut 850'000 Juden aus arabischen Ländern vertrieben. Die noch relativ kleine jüdische Bevölkerung Israels absorbierte und integrierte sie.
Als Israel 1967 im Rahmen des Sechstagekrieges das Westjordanland und den Gazastreifen eroberte und besetzte, flohen zahlreiche Flüchtlinge, die 1948/1949 durch Jordanien und Ägypten in diesen Gebieten untergebracht worden waren, weiter.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA)
Am 8. Dezember 1949 rief die UNO-Generalversammlung das «Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten», in englisch United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) als temporäres Hilfsprogramm der Vereinten Nationen ins Leben, das am 1. Mai 1950 seine Arbeit aufnahm. Es wurde seit seiner Gründung regelmässig um drei Jahre verlängert (zuletzt im Dezember 2016). Der Hauptsitz des Hilfswerkes war zunächst in Beirut. Er wurde 1978 aufgrund der Unruhen im Libanon nach Wien und 1996 weiter nach Gaza verlegt. Ein weiterer Hauptsitz existiert in Amman. Der Generalkommissar der UNRWA ist seit März 2014 der ehemalige Schweizer Diplomat Pierre Krähenbühl. Das Hilfswerk unterhält Einrichtungen in Jordanien, Syrien, im Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland.
Das Hilfswerk wurde als eine Organisation auf Zeit gegründet, die den Flüchtlingen und Vertriebenen bis zur Regelung der Palästinafrage beistehen sollte. Ihre Tätigkeit bestand zunächst in der Bereitstellung von Nothilfe, also Lebensmitteln, Unterkünften, Kleidung und der wichtigsten medizinischen Versorgung. Heute gehen mehr als die Hälfte des UNRWA-Jahreshaushaltes in die Erziehung, 20 Prozent ins Gesundheitswesen und 10 Prozent in die Sozialhilfe; mit dem Rest werden die administrativen Kosten bestritten. An den Amtssitzen der Organisation in Ammann und Gaza sind etwa 500 Personen beschäftigt. Der Grossteil der 28'800 Bediensteten sind Palästinenser, nur gut 150 Dienstposten sind international besetzt.
Wer ist Palästina-Flüchtling?
Laut Definition UNRWA gelten Personen als Palästina-Flüchtlinge «deren ständiger Wohnsitz zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 in Palästina lag und die ihren Wohnsitz und ihre Lebensgrundlage durch den Arabisch-Israelischen Krieg von 1948 verloren haben». Die UNRWA registriert jedoch auch die Nachkommen von Palästina-Flüchtlingen. Andere Gruppen mit speziellem Status haben ebenfalls das Recht, sich registrieren zu lassen und Hilfsleistungen in Anspruch zu nehmen so lange sie sich in UNRWAs Einsatzgebieten aufhalten und die Bedürftigkeitskriterien der Organisation erfüllen.
Der Einbezug der Nachkommen und damit das «Vererben» des Flüchtlingsstatus ist eine wohl einzigartige Flüchtlingsdefinition. Die von der UNRWA registrierten Flüchtlinge sind damit Dauerflüchtlinge und Dauerhilfsempfänger von UNO-Mitteln. Die Zahl der von der UNRWA registrierten «Palästina-Flüchtlinge», ist mittlerweile auf 5 Millionen angewachsen, die heute neben den Palästinensergebieten vor allem im Libanon und in Jordanien leben.
Ihre Rückkehr auf das Staatsgebiet Israels, wie es von palästinensischer Seite gefordert wird, würde das Ende des Staates Israel als jüdische Heimstätte bedeuten.
Eskalation mit Ansage
Die Krise hatte sich in jüngster Zeit verschärft. Im Gazastreifen ansässige Terrororganisationen hatten Tunnels gebaut, die Terrorristen das Eindringen nach Israel unter der Grenze durch zum Verüben von Terrorakten an der israelischen Zivilbevölkerung ermöglichen soll. Diese Tunnels sind nicht zu verwechseln mit jenen, die zu Schmuggelzwecken unter der Grenze zu Ägypten gegraben wurden. Raketen wurden wieder zunehmend vom Gazastreifen aus auf Südisrael abgefeuert. Am Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen wurden Sprengladungen angebracht, um damit die der Grenze entlang patrouillierenden israelischen Soldaten angreifen zu können. Sie führten zu Verletzten unter dem israelischen Militär.
Einen Einfluss auf die Verschärfung des Konflikts hatte auch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und die Ankündigung der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem durch US-Präsident Donald Trump am 6. Dezember 2017. Zwar hatte Präsident Trump nicht präzisiert, ob er mit der Anerkennung ganz Jerusalem oder nur den Westteil meinte.
Diesen vorwiegend von Juden bewohnten Westteil der Stadt hatte Israel am 4. Januar 1950, also kurz nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges, zu seiner Hauptstadt erklärt. Es befinden sich dort das Parlament, die Regierung, d.h. das Amt des Ministerpräsidenten und die meisten Ministerien, das Oberste Gericht und der Sitz des Staatspräsidenten. Westjerusalem als Hauptstadt Israels wird international nicht in Frage gestellt. Im Sechstagekrieg eroberte Israel auch das seit 1948 durch Jordanien besetzte Ostjerusalem mit der Altstadt und der für die Juden heiligsten Stätte, der Westmauer des Tempelbergs (Klagemauer).
Das Jerusalemgesetz vom 30. Juli 1980 fasste beide Stadtteile und einige Umlandgemeinden zusammen und erklärte die Stadt zur untrennbaren Hauptstadt Israels. Darin sieht die palästinensische Seite ein Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden. Der UNO-Sicherheitsrat erklärte die Annexion Ostjerusalems für nichtig (Resolution 478 des UNO-Sicherheitsrates vom 20. August 1980). Die Resolution empfiehlt allen Staaten, deren Botschaften ihren Sitz in Jerusalem hatten, diese aus Jerusalem abzuziehen. Die Palästinensische Autonomiebehörde beansprucht Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen Staates Palästina.