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Israel spielt auf Zeit

Nahezu einstimmig begrüssten Politiker aller israelischen Parteien die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, sich aus dem Iran-Abkommen zurückzuziehen. Über Jahre schien das nukleare Rüstungsprogramm Teherans einzig Israels Problem zu sein. Seit dem Führungswechsel im Weissen Haus kämpft Regierungschef Benjamin Netanjahu jedoch nicht mehr allein an der gefährlichsten Front mit dem Gegner, der aus einer Entfernung von Tausenden Kilometern dem Judenstaat mit der Vernichtung droht.

Israel steht zwar ganz oben auf der schwarzen Liste Teherans, ein Atomstaat Iran wäre jedoch eine Gefahr für die ganze Region.

Netanjahu und Trump waren sich stets einig, dass kein Atomabkommen besser ist als ein schlechtes. Beide Regierungschefs werden mit vereinter Kraft nun den diplomatischen Weg einschlagen, um die restlichen Partner des Abkommens dazu zu bewegen, einen neuen, besseren Vertrag auszuhandeln.

Problematisch waren aus israelischer Sicht die zeitlich begrenzten Einschränkungen für das Atomforschungsprogramm und die Möglichkeit für den Iran, nach Ablauf der zehnjährigen Frist im Jahr 2025 die Urananreicherung in vollem Umfang wieder aufzunehmen. Die Hoffnung in Jerusalem ist, diese Frist um weitere zehn Jahre oder noch mehr zu verlängern. Damit würde man Zeit gewinnen für die Moderni¬sierung des Luftwaffenabwehrsystems. Zum zweiten wächst mit jedem weiteren Jahr die Chance, dass es in Teheran doch noch zu einem Regimewechsel kommt. Neue Sanktionen, die auch die iranische Zivilbevölkerung treffen, könnten den Druck aus dem Volk verstärken, das schon jetzt mit Unmut zusieht, wie Milliarden von Steuergeldern in den syrischen Bürgerkrieg fliessen oder in die Aufrüstung der libanesischen Terrororganisation Hisbollah.

Der zweite problematische Punkt des sogenannten Joint Comprehensive Plan of Action ist die Kontrolle der nuklearen Forschungseinrichtungen, die nur nach vorheriger Ankündigung und nur mit Zustimmung der Iraner vorgenommen werden darf. Aus israelischer Sicht sind Kontrollen hinfällig, wenn die Iraner vorher die Möglichkeit haben, verdächtiges Material beiseitezuschaffen. Netanjahus Präsentation der geheimen Akten aus dem iranischen Atomarchiv zielte letztlich darauf ab, Teheran als Partner zu entlarven, dem man nicht vertrauen darf. Damit rannte Netanjahu bei den Europäern offene Türen ein. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini konterte zwar, dass man, eben weil es an Vertrauen mangelte, das Abkommen überhaupt erst getroffen habe, ganz glücklich ist man aber auch in Europa nicht mit den erreichten Klauseln. «Besser einen schlechten Vertrag als gar keinen», heisst es in Berlin und Paris, im Gegensatz zur Haltung von Trump und Netanjahu.

Für Netanjahu ist das Problem mit dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen noch lange nicht gelöst. Dass neue Sanktionen den Iran zur Aufgabe seiner nuklearen Ambitionen führen könnten, ist unwahrscheinlich. Denkbar wäre hingegen, dass die Geheimdienste den Cyber-Krieg wieder aufnehmen, wenn das nicht schon passiert ist. Der Computerwurm Stuxnet, der vor knapp 20 Jahren rund eintausend Uranzentrifugen im Iran zerstörte, ging vermutlich auf das Konto des Mossad. Dem israelischen Auslandgeheimdienst wurde damals auch eine Serie mysteriöser Todesfälle unter iranischen Atomforschern zugeschrieben.

Susanne Knaul, Jerusalem

Dieser Artikel, den wir hier mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin publizieren, erschien in verschiedenen Schweizer Zeitungen.