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Kommunalwahlen in Israel

In Jerusalem ist eine Stichwahl erforderlich – Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai zum 5. Mal gewählt – Haifa wählt erstmals eine Bürgermeisterin

von Rolf Koch, Vizepräsident und Webmaster der Gesellschaft Schweiz-Israel

Am Dienstag (30.10.) haben in Israel Kommunalwahl stattgefunden. Es wurden die Bürgermeister sowie die Stadt-, Regional- und Gemeinderäte gewählt. Die Wahllokale öffneten um 7.00 Uhr und schlossen um 22.00 Uhr Lokalzeit.

Wahlrecht auch für Bewohner ohne israelische Staatsbürgerschaft

Anders als bei den Parlamentswahlen, bei denen nur israelische Staatsbürger ihre Stimme abgeben dürfen, können sich an den Kommunalwahlen auch Einwohner ohne israelischen Pass beteiligen. Dies gilt vor allem für rund 300.000 arabischen Bewohner Ost-Jerusalems. Traditionell boykottieren jedoch die meisten von ihnen die Kommunalwahlen. Erstmals konnten auch die Gefängnisinsassen an den Wahlen teilnehmen. 40 %, d.h. 4222, beteiligten sich

Nach Angaben aus dem Innenministerium standen 3,400 Parteilisten und eine entsprechend hohe Anzahl Kandidaten in 251 Städten und Ortschaften zur Wahl. Der jüngste Kandidat war nur 26 Jahre alt: Ayoub Abu Kaf, in der Beduinenortschaft Sal-Kasom. Die Ältesten waren beide 82, Kandidaten für Be'er Schewa und Jawne. 665 Männer, aber nur 58 Frauen, wollten Bürgermeister werden,. Die Zahl der sich bewerbenden Frauen liegt immer noch bei weniger als einem Zehntel der Kandidaten. Grundsätzlich muss der Sieger 40 % der Stimmen auf sich vereinigen, um Bürgermeister zu werden. Andernfalls findet es am 13. November eine zweite Wahlrunde, eine Stichwahl mit den beiden Kandidaten statt, die den höchsten Prozentsatz der Stimmen erhalten.

Die Wähler geben zwei Stimmen ab: eine für den Bürgermeister (fünf Jahre Amtszeit) und eine für die Partei, die sie in ihrem Stadt- oder Gemeinderat vertreten soll. Das kann dazu führen, dass ein Bürgermeisterkandidat zwar zahlreiche Stimmen erhält, nicht jedoch seine Partei.

Nach Angaben des Innenministeriums stimmten 3,6 Millionen Menschen von 6,6 Millionen Wahlberechtigten in 251 Städten, Bezirken und Gemeinden ab (60 %). Das war ein Plus von fünf Prozent gegenüber der letzten Kommunalwahl vor fünf Jahren.

Wahltag … und Ausflugstag

Erstmals seit 1989 war der Wahltag zu einem arbeitsfreien Tag erklärt worden. Viele Israelis nützten den Tag, um die Herbstsonne in der Landschaft oder am Meer zu geniessen. In Israel scheint sich der Sommer nochmals zurückgemeldet zu haben, mit Temperaturen um 30 Grad z.B. in Tel Aviv, Haifa und Tiberias; rund 5 Grad weniger im auf gegen 800 M.ü.M. gelegenen Jerusalem.

Rund 180.000 Israelis verbrachten den Wahltag in Naturschutzgebieten oder Nationalparks. Nach Angaben der Nationalparkbehörde waren Ein Afek und Ein Gedi die meistbesuchten Naturschutzgebiete, während Yarkon, Ein Hemed und Castel die belebtesten Nationalparks waren.

Wahlbeteiligung ist gestiegen  –  dank arbeitsfreiem Tag?

Die Wahlbeteiligung ist zwar nicht im wegen des arbeitsfreien Tages erwarteten Ausmass gestiegen. Rund vier Millionen der Wahlberechtigten gingen an die Urnen, was einer Wahlbeteiligung von 60 % entspricht. Vor fünf Jahren waren es 10 % weniger gewesen. Das Interesse an den Wahlergebnissenwar jedoch offensichtlich gross: Die Webseite des Innenministerium, die in der Nacht laufend die neuesten Resultate bekanntgab, brach zusammen.

Jerusalem

Die Jerusalemer Stadträte Mosche Lion (von der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei)  und Ofer Berkovitch (von der aschkenasisch-charedischen Degel Hatora unterstützt) werden am 13. November in einer Stichwahl gegeneinander antreten müssen, nachdem sie bei der Wahl zum Bürgermeister von Jerusalem die Plätze eins und zwei belegt haben. Keiner der beiden Kandidaten erhielt die 40 % der Stimmen, die erforderlich sind, um eine Stichwahl zu vermeiden.

Mosche Lion gewann 33 %, Ofer Berkovitch 29 % der Stimmen, Ze'ev Elkin erhielt 20 % der Stimmen, der stellvertretende Bürgermeister Yossi Daitch 17 % und der ehemalige Barkat-Berater Avi Salman knapp 1 % der Stimmen. Der bisherige Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, hatte nicht mehr kandidiert. Er war 2008 gewählt und 2013 wiedergewählt worden.

Berkovitch forderte die erfolglosen Kandidaten Ze'ev Elkin und Yossi Daitch auf, ihn bei der Stichwahl zu unterstützen. Er erklärte Reportern, er hoffe, dass ultra-orthodoxe Wähler, ihm helfen werden, Lion zu schlagen.

Ostjerusalem
Seit Jahrzehnten boykottieren die arabischen Bewohner Ostjerusalems die Kommunalwahlen Bei der letzten Wahl 2013 stimmten weniger als ein Prozent von ihnen ab. Die Einwohner der östlichen Hälfte Jerusalems machen 37 Prozent oder rund 327.700 der rund 882.700 Einwohner der Stadt aus.

Doch seit 1967, als Israel den Ostteil der Stadt von Jordanien erobert und sich eingegliedert hat, boykottieren die Araber die Kommunalwahlen. Der Gang zur Urne gilt als «Anerkennung» der «illegalen Besatzung». Gleichwohl sagen auch Araber in Jerusalem, dass sie bei einer geschlossenen Wahlbeteiligung durchaus eine Mehrheit im Stadtrat erringen könnten. Zwar könnten auch die Araber Jerusalems die israelische Staatsbürgerschaft erhalten. Sie sind jedoch fast ausnahmslos Inhaber der jordanischen Staatsbürgerschaft.

Bisher klagten sie stets, von der Stadtverwaltung vernachlässigt zu werden. Tatsächlich mangelt es auf verschiedenen Gebieten. Doch wissen die Araber inzwischen, dass das etwas mit der Demokratie zu tun hat. Denn wenn nur Juden im Stadtrat vertreten sind und kein einziger Araber, wieso sollten die jüdischen Stadträte die knappen Gelder in den arabischen Vierteln investieren, wenn sie von dort keine einzige Stimme für ihre Wiederwahl erwarten können. Die Araber sind als «ständige Bewohner» wahlberechtigt. Bürgermeister kann aber nur werden, wer Israeli ist. Das gilt auch auf den Golanhöhen, wo erstmals in drei drusischen Ortschaften Kommunalwahlen abgehalten wurden.

Dieses Jahr sorgte das Erscheinen der ersten gesamtpalästinensischen Liste seit Jahren für etwas Aufregung. Mehr Ostjerusalemer beteiligten sich dieses Jahr an den Wahlen in der Hoffnung auf bessere Dienstleistungen durch den Stadtrat, das kommunale Parlament.

«Ich habe der arabischen Liste meine Stimme gegeben, weil wir Leute brauchen, der für unsere Interessen und Rechte in der Gemeinde kämpfen», sagte Jamil al-Ayyan, ein 49-jähriger Erstwähler. «Wir zahlen Steuern, erhalten aber keine angemessenen Dienstleistungen. Wenn Gott will, wird unsere Liste viele Plätze gewinnen und wir werden hier Verbesserungen sehen.»

Nachtrag
Die Stichwahl am Dienstag, 13. November, gewann Mosche Lion mit Unterstützung fast des ganzen ultraorthodoxen Lagers gegen den unabhängigen, säkularen Kandidaten Ofer Berkovitch, allerdings nur mit einem Mehr von drei Prozent der in der Hauptstadt abgegebenen Stimmen. Damit wurde erstmals ein Sepharde Bürgermeister von Jerusalem.

Tel Aviv

Tel Aviv ist am Mittwochmorgen mit dem gleichen Bürgermeister aufgewacht, der seit 20 Jahren im Amt ist. Die Einwohner gaben Bürgermeister Ron Huldai (74; Bild 2) ihren Segen, damit er ein Vierteljahrhundert im Rathaus verbringen kann. Huldai erhielt 47% der Stimmen, sein Stellvertreter und Konkurrent bei den Wahlen, Asaf Zamir, rund 34%. 63 % der Wahlberechtigten gingen an die Urnen, 12 % mehr als vor einem Jahr.

Huldai war 1998 erstmals zum Bürgermeister von Tel Aviv gewählt worden. 2003, 2008 und 2013 und nun 2018 wurde er wiedergewählt. In seiner Amtszeit entwickelte sich die Stadt zu einem Zentrum für über 600 Start-up-Unternehmen. Nach dem Gesetz muss Huldai nach Ablauf der nächsten Amtszeit im Jahr 2023 zurücktreten. 2009 hatte ihm die Universität Tel Aviv die Ehrendoktorwürde verliehen. Huldai ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ron Huldai wurde 1944 im Kibbuz Hulda im Zentrum Israels geboren, was der Familie ihren Namen gab. Er hatte eine lange Karriere in der Armee und war sechs Jahre lang Direktor des renommierten Herzlja- Gymnasiums in Tel Aviv, bevor er 1998 Stadtoberhaupt wurde.

Als Bürgermeister hat er grosse Infrastrukturprojekte wie die Totalsanierung der Strandpromenade in Angriff genommen und Hightech-Unternehmen in die Stadt gelockt. Viele Bewohner sind jedoch bestürzt über die explodierenden Lebenshaltungskosten und die unmöglichen Immobilienpreise.

«Wir haben noch viel mehr für die Menschen in Tel Aviv zu tun», sagte Huldai, nachdem die Ergebnisse seines Sieges vorlagen. «Ab morgen werden wir wieder an die Arbeit gehen», sagte er, «und wir werden unsere Arbeit weiterhin leise erledigen. Ich danke den Bewohnern von Tel Aviv für ihr Vertrauen [in mich] und das grossartige Team [von Wahlaktivisten]. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet», sagte er, als seine Unterstützer mit ihm feierten.

Haifa

Die Kandidatin der Arbeitspartei, Dr. Einat Kalisch Rotem (48; Bild 1), hat Geschichte geschrieben, indem sie den Bürgermeister von Haifa, Yona Yahav, besiegte und als erste Frau ins Bürgermeisteramt einer der grössten Städte Israels gewählt wurde. Sie erhielt 56 % der Stimmen, ihre Fraktion «Hayim in Haifa» (Leben in Haifa) vier Mandate. Ihr Gegenkandidat Yona Yahav erreichte 37 %. Er hatte während den letzten 15 Jahre das Bürgermeisteramt ausgeübt.

«Das war ein grosser Sieg für Haifa», sagte Labour-Chef Avi Gabbay. «Einat bewies, dass mit harter Arbeit und Entschlossenheit die Umfragen besiegt werden können. Viel Glück für unsere Bürgermeisterin und alle Einwohner von Haifa.»

Kalisch Rotem wurde auch von ultra-orthodoxen Bewohnern der Stadt unterstützt, die darauf bedacht waren, Yahav zu besiegen, der seit 2003 Bürgermeister war.

Der Wahl war am 22. Oktober ein Entscheid des Obersten Gerichtshofs vorausgegangen, der ihr zu kandidieren erlaubte. Er hob einen Entscheid des Bezirksgerichts auf, der ihre Kandidatur ausschloss, weil die Arbeitspartei sowohl ihre Kandidatur als auch die eines anderen Kandidaten, Yisrael Savyon, eingereicht hatte.

Biografie
Einat Kalisch Rotem wurde 1970 in Haifa geboren und wuchs dort auf. Sie studierte an der Alliance Haifa High School. In der israelischen Armee war sie als Forschungsassessorin bei der Luftwaffe tätig.

1995 absolvierte Kalisch Rotem einen Bachelor-Abschluss in Architektur am Technion – Israel Institute of Technology, der Technischen Hochschule Israels. Im Jahr 2001 schloss sie ihren Masterstudiengang Städtebau mit Auszeichnung des Technions ab und im Jahr 2007 ihre Promotion in Stadtplanung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

Kalisch-Rotem ist verheiratet und ist Mutter zweier Kinder. Sie hat einen schwarzen Gürtel im Karate.

Businesskarriere
Die neue Bürgermeisterin von Haifa ist Inhaberin eines unabhängigen Architekturbüros, das sich mit Stadt- und Regionalplanung beschäftigt. Sie unterrichtet am Technion und an der Universität Tel Aviv. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 2007 eine staatliche Auszeichnung des Umweltministeriums. Seit 2011 ist sie Vorsitzende der Haifa Architects Association und Mitglied des Executive Committee of the Coalition for Public Health.

Erfolgreiche Frauen

Neben Kalisch Rotem wurden vier weitere Frauen erstmals an die Spitze kommunaler Exekutiven gewählt. Ausserdem wurden sechs Frauen im Amt des Bürgermeisters bestätigt, darunter Mirjam Feierberg-Ikar für die Stadt Netanja am Mittelmeer. Sie erhielt 48 % der Stimmen.

Zehn Frauen bekleiden nun das Bürgermeisteramt. Nach den Wahlen vor fünf Jahren waren es sieben gewesen. Und im 11-köpfigen Regionalrat von Schar HaNegev im Süden des Landes sitzt nun auch eine Mehrheit von sechs Frauen.

 

Bild 1: Dr. Einat Kalisch Rotem, neue und erste Bürgermeisterin der Stadt Haifa

Bild 2: Ron Huldai, Bürgermeister von Tel Aviv