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23. Knesset aufgelöst

Die 23. Knesset hat sich in der Nacht auf Mittwoch, 23. Dezember, aufgelöst. Damit steht für die Israelis die 4. Wahl in weniger als zwei Jahren an. Die Neuwahl des Parlaments wurde einstweilen auf den 23. März 2021 angesetzt.

Da die Verabschiedung des Budgets 2020 scheiterte, erfolgte die offizielle Auflösung des Parlaments (Bild 1) als die Uhr Mitternacht schlug. Die Auflösung der 23. Knesset kam nur knapp zehn Monate nach ihrer Wahl am 2. März; am 17. März war sie vereidigt worden. Zuvor waren die Israelis bereits im April und im September 2019 zur Urne gebeten worden.

Noch vor der Auflösung der Knesset begannen Beratungen darüber, wie eine Neuwahl während der Corona-Pandemie sicher abgehalten werden kann. Es ging etwa um die Frage, wie an Corona Erkrankte ihre Stimmen abgeben können.

Ein Stimmungsbild von der letzten Debatte der 23. Knesset vermittelt dieses Video  (0:48 Min.).

Das Ende des 35. Kabinetts

Damit ist auch die so genannte Einheitsregierung von Ministerpräsident Benjamin «Bibi» Netanjahu (Likud) und des alternierenden Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers Benjamin «Benny» Gantz (Bündnis Blau-Weiss) zusammengebrochen. (Bild 2)

Die beiden Parteiführer, die sich in drei unentschiedenen Wahlen erbittert bekämpft hatten, einigten sich am 20. April auf die Bildung einer «nationalen Notstandsregierung», dies in Anbetracht der Corona-Krise und zu deren Bewältigung. In dieser Einheitsregierung sollten sich Premierminister Benjamin Netanjahu und Blau-Weiss-Chef Benny Gantz die Macht teilen. Die Koalition war auf drei Jahre angelegt. Für das Amt des Premierministers war eine Rotation vorgesehen mit Benjamin Netanjahu als Regierungschef während den ersten 18 Monaten und anschliessend Benny Gantz, der bis dahin den Titel alternierender Ministerpräsident trug und zugleich das Verteidigungsministerium leitete. Die Regierung war am 17. Mai vereidigt worden. Sie hielt somit gerade mal gut sieben statt 18 Monate.

Das Budget 2020 (und jenes für 2021) hätte zwar bereits zu einem früheren Zeitpunkt verabschiedet werden müssen, doch Gantz liess sich, um die Koalition zu retten und Neuwahlen zu verhindern, auf eine Verlängerung der Frist bis zum 23. Dezember ein.

Ein Budget wäre dringend nötig: Israel kämpft mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Da das Land bereits auf eine dritte Welle zusteuert, stehen möglicherweise erneut massive Einschränkungen bevor. In den Medien ist bereits davon die Rede, dass Ministerien ab Februar die Mittel für wichtige Programme fehlen werden.

Letzter Versuch fehlgeschlagen

Noch in der Nacht auf Dienstag (22.12.) scheiterte ein letzter Versuch, die Frist für das Budget 2020 bis zum 31. Dezember, jene für die Verabschiedung des Haushalts 2021 bis zum 5. Januar 2021 zu verlängern. 49 der insgesamt 120 Abgeordneten stimmten gegen einen entsprechenden Gesetzesentwurf; lediglich 47 dafür, der Rest enthielt sich oder war abwesend.

Das israelische Grundgesetz schreibt vor, dass sich die Knesset automatisch auflöst und drei Monate später Neuwahlen stattfinden, wenn die Frist für die Verabschiedung des Budgets nicht eingehalten wird.

Netanjahu hatte sich über Wochen geweigert, Hand zur Verabschiedung der Budgets zu bieten. Er liess die Frist verstreichen und damit die Regierung scheitern. Eine Klausel im Koalitionsvertrag sah nämlich vor, dass Gantz übergangsweise Ministerpräsident würde, sollte die Regierung nach dem In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes scheitern. Dies wollte Netanjahu offensichtlich verhindern, um bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den Wahlen im Jahre 2021 kommissarisch Regierungschef zu bleiben.

Der bisherige, der kommissarische – und der zukünftige? – Premierminister

Der 71-jährige Benjamin Netanjahu (er feierte am vergangenen 21. Oktober Geburtstag) ist seit dem 31. März 2009 ununterbrochen als Regierungschef an der Macht und war schon von 1996 bis 1999 Premierminister, was ihn zum dienstältesten Ministerpräsidenten Israels macht. Er bleibt als Chef der Übergangsregierung im Amt, bis das Volk gewählt hat und eine neue Koalition gebildet ist.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Wahlkampf sieht es für Benjamin Gantz schlecht aus. Aber auch Benjamin Netanjahus hat nicht mehr allzu gute Karten.

Gantz hatte für die Wahlen zu Beginn dieses Jahres mit dem Versprechen kandidiert, auf keinen Fall eine Koalition mit Netanjahu einzugehen, sondern ihn aus dem Amt zu drängen. Die Coronakrise veranlasste ihn dann, mit seinem Parteienbündnis Blau-Weiss doch eine Einheitsregierung mit Netanjahu und dessen Likud zu bilden. Weil er sein Versprechen gebrochen hatte und da die Regierung die Coronakrise nach Meinung breitester Kreise schlecht managte, haben Gantz und sein Blau-Weiss-Bündnis gemäss Umfragen massiv an Zustimmung verloren und dürften bei den Neuwahlen bedeutungslos werden.

Netanjahus Konkurrenz

Aber auch Netanjahu steht im Gegenwind. Sein bisheriger Parteikollege und ehemalige Minister Gideon Sa’ar ist am 9. Dezember 2020 aus der Likud-Partei ausgeschieden und als Knessetmitglied zurückgetreten, um eine eigene Partei, die «Tikva Chadascha» («Neue Hoffnung»), zu gründen.

Der 54-jährige Sa’ar galt als Hauptkonkurrent Netanjahus im Likud. Letztes Jahr kandidierte er in einer Vorwahl für das Amt des Parteipräsidenten gegen ihn, erhielt jedoch nur 27,5 Prozent der Stimmen.

Auch Sa’ar, der seine Partei im rechten Spektrum der israelischen Politik ansiedeln will, verspricht nachdrücklich, keinesfalls mit Netanjahu eine zukünftige Regierung zu bilden. Er gilt als integer, steht aber in vielen Fragen noch weiter rechts als der Regierungschef.

Sa‘ar fühlt sich bestärkt durch die zusehends Netanjahu-kritische Öffentlichkeit in Israel. Seit einem halben Jahr demonstrieren jeden Samstagabend Tausende vor dem Sitz des Premierministers in Jerusalem, aber auch in ganz Israel, gegen das Versagen der Regierung in der Coronakrise und fordern Netanjahus Rücktritt. In Anlehnung an sein Amt als «Prime minister» schimpfen sie ihn mit Blick auf seinen Strafprozess «Crime minister».

Auch im Likud macht sich zunehmend Missmut gegen den Parteipräsidenten und Regierungschef breit. Es soll mehrere Politiker geben, die Benjamin Netanjahu gerne an der Spitze des Likud ablösen würden. Sich dazu bekennen wollen sie aber erst dann, wenn der seinen Sessel freiwillig geräumt hat. Loyalität gehört zur Tradition einer Partei, die sich vor über 70 Jahren zu formieren begann und in ihrer heutigen Struktur seit 1973 nur vier Anführer hatte. Netanjahu ist seit 2005 der fünfte Parteipräsident.

Zunehmend geben jedoch Knessetmitglieder der Likud-Fraktion bekannt, zu Sa’ars Partei übertreten zu wollen.

Als weiterer Herausforderer gilt Naftali Bennett, Vorsitzender des Parteienbündnisses Jamina (auf Deutsch «Nach rechts»). Es ist ein Zusammenschluss von drei Parteien.
Bei den Wahlen im Frühling errangen sie 6 Sitze. Ein Fraktionsmitglied (Rafi Peretz) ist mittlerweile ausgetreten.

(RK)

 

Bild 1: Plenum der Knesset, des israelischen Parlaments. Archivbild aus der Zeit vor der Corona-Pandemie

Bild 2: Ihre Wege trennen sich: Der alternierende Ministerpräsident Benjamin Gantz (li.) und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 2. Dezember 2020 in der Knesset (Knesset-Mediendienst)