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Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Marokko angekündigt

Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan ist innerhalb von vier Monaten ein vierter Staat bereit, seine Beziehungen zu Israel zu normalisieren: Das Königreich Marokko im Nordwesten Afrikas.

Die Ankündigung dieser durch den amerikanischen Präsidentenberater und Schwiegersohn Jared Kushner koordinierte Vereinbarung kam am Donnerstag, 10. Dezember, vorab, wie schon bei den anderen dieser Art, nicht aus den betroffenen Ländern, sondern aus Washington, von US-Präsident Donald Trump über Twitter.

«Ein weiterer HISTORISCHER Durchbruch heute! Unsere beiden GROSSARTIGEN Freunde Israel und das Königreich Marokko haben volle diplomatische Beziehungen vereinbart – ein massiver Durchbruch für den Frieden im Nahen Osten!», twitterte der US-Präsident.

President Donald J. Trump Has Brokered Peace Between Israel and the Kingdom of Morocco
(The White House, 11.12.2020)

Marokko  (in Wikipedia)

Stellungnahme des israelischen Premierministers

Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, ebenfalls am Donnerstagabend, beim Entzünden des ersten Lichts der Chanukkia vor der Westmauer in Jerusalem: «Wir werden die Verbindungsbüros zwischen Israel und Marokko schnell wieder öffnen und so schnell wie möglich daran arbeiten, volle diplomatische Beziehungen herzustellen. Wir werden auch Direktflüge zwischen Marokko und Israel und Israel und Marokko aufnehmen, um dieser Brücke des Friedens ein noch solideres Fundament zu geben. Dies wird ein sehr warmer Frieden sein. Der Frieden hat noch nie – das Friedenslicht an diesem Chanukka-Tag hat noch nie – heller geleuchtet als heute im Nahen Osten.»

Und weiter: «Das Volk von Marokko und das jüdische Volk haben in der Neuzeit eine herzliche Beziehung gehabt. Jeder kennt die enorme Freundschaft, die die Könige von Marokko und das Volk von Marokko der dortigen jüdischen Gemeinde entgegengebracht haben. Und Hunderttausende dieser marokkanischen Juden kamen nach Israel, und sie bilden eine menschliche Brücke zwischen unseren beiden Ländern und unseren beiden Völkern, die von Sympathie, Respekt, Zuneigung und Liebe geprägt ist. Ich denke, dass dies das Fundament ist, auf dem wir jetzt diesen Frieden aufbauen können.»

In Israel besteht eine gut eine Million zählende Gemeinschaft aus Marokko eingewanderter Bürger und ihren Nachkommen. (Bild 2)

Bekanntgabe durch das Königreich Marokko

Allerdings haben offensichtlich nicht das marokkanische Königshaus und die israelische Regierung die Vereinbarung ausgehandelt, sondern die USA mit Marokko einerseits und mit Israel anderseits.

Ebenfalls am Donnerstag, 10. Dezember, veröffentlichte das marokkanische Aussenministerium eine Mitteilung, wonach «Seine Majestät König Mohammed VI., möge Gott ihm beistehen, heute ein Telefongespräch mit Seiner Exzellenz Herrn Donald Trump, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika» hatte.

Während dieses Gesprächs habe Präsident Trump Seine Majestät den König «über die Verkündung eines Präsidialdekrets informiert, mit allem, was dieser Akt als unbestreitbare rechtliche und politische Kraft und mit sofortiger Wirkung mit sich bringe, über die Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika, zum ersten Mal in ihrer Geschichte die volle Souveränität des Königreichs Marokko über die gesamte Region der marokkanischen Sahara anzuerkennen».

Normalisierungsabsichten mit Israel von zweiter Bedeutung

Es fällt auf, dass in dieser Mitteilung des marokkanischen Aussenministeriums – nach einer ausführlichen Darlegung und Würdigung der Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara durch die USA – erst in einem zweiten, kürzeren Teil auf «die konsequenten und ausgewogenen Positionen des Königreichs Marokko zur palästinensischen Frage» eingegangen wird.

Während der Gespräche zwischen König Mohammed VI (Bild 3) und dem US-Präsidenten hätten sie sich auch (Hervorhebung in Kursivschrift durch den Webredaktor) über die aktuelle Situation in Nahost ausgetauscht, heisst es da einleitend.

Es wird auf den Vorsitz des Königs im Al-Quds-Komitee der Organisation für Islamische Zusammenarbeit hingewiesen und die konsequente und ausgewogene Position Marokkos zur Palästina-Frage mit seiner Unterstützung einer Lösung von zwei Staaten, «die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben, und dass Verhandlungen zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite der einzige Weg bleiben, um eine endgültige, dauerhafte und umfassende Lösung dieses Konflikts zu erreichen».
(«Al Quds» ist die arabische Bezeichnung für Jersualem; Anm.d.Red.)

Im Gegensatz zu den Monarchen am Golf telefonierte Mohammed VI. sofort mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und unterstrich, dass sein Land weiterhin an der Zweistaatenlösung festhalte.

Und dann wörtlich weiter in der marokkanischen Verlautbarung:
«In Anbetracht der historischen Rolle, die Marokko stets bei der Annäherung der Völker der Region und bei der Förderung von Frieden und Stabilität im Nahen Osten gespielt hat, und angesichts der besonderen Bindungen, die die jüdische Gemeinschaft marokkanischer Herkunft, auch in Israel, mit der Person Seiner Majestät des Königs verbindet, teilte der Souverän dem US-Präsidenten mit, dass Marokko beabsichtigt:

- die Befugnis für Direktflüge für den Transport von Mitgliedern der marokkanisch-jüdischen Gemeinde und israelischen Touristen nach und aus Marokko zu erteilen;

- die offiziellen Kontakte mit den Amtskollegen und die diplomatischen Beziehungen so bald wie möglich wieder aufzunehmen;

- Innovative Beziehungen im wirtschaftlichen und technologischen Bereich zu fördern, einschliesslich der Wiedereröffnung von Verbindungsbüros in beiden Ländern, wie es früher und mehrere Jahre lang bis 2002 der Fall war.

Seine Majestät der König betonte, dass diese Massnahmen in keiner Weise Marokkos dauerhaftes und nachhaltiges Engagement für die gerechte palästinensische Sache und seine Entschlossenheit, weiterhin effektiv und konstruktiv zu einem gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten beizutragen, beeinträchtigen.»

Marokkos Scheu, Israel beim Namen zu nennen

Die Aufnahme von Direktflügen für Mitglieder der jüdischen Gemeinde und israelische Touristen steht an erster Stelle der Absichten aus marokkanischer Sicht.

Erst dann wird die Aufnahme «so bald als möglich»von Kontakten mit «Amtskollegen» und von diplomatischen Beziehungen genannt, ohne den Namen des Staates Israel zu erwähnen.

Im ganzen Text der Bekanntgabe des «Kingdom of Marocco, Ministry of Foreign Affairs, African Cooperation and Maroccan Expatriates» wird

  • der Name «Israel» ein einziges Mal erwähnt (siehe weiter oben, Einleitung zur Absichtserklärung; fett hervorgehoben, wobei es sich lediglich auf die aus Marokko eingewanderten Israeli und deren Nachkommen bezieht), und
  • das Adjektiv «israelisch» zweimal, nämlich
    - vorstehend bei der Erwähnung der israelischen Touristen und
    - weiter oben, in der Einleitung der Verlautbarung des marokkanischen Aussenministeriums (dort ebenfalls fett hervorgehoben).

Bisherige Beziehungen Marokkos zu Israel

Marokko hat im antiisraelischen Verbund der arabischen Welt immer eine Sonderrolle gespielt. Die Kontakte der beiden Länder reichen zurück bis 1948, dem Jahr der Gründung Israels; 1965 ermöglichte der damalige König Hassan II. israelischen Agenten, ein Treffen der Arabischen Liga auszuspionieren, und 1986 lud er den damaligen israelischen Regierungschef Schimon Peres nach Rabat ein. Im Zuge der sogenannten Osloer Verträge richtete Marokko Verbindungsbüros ein.

Zwar schloss Rabat diese Büros vor 20 Jahren aus Protest gegen Israels Militäreinsätze gegen die Palästinenser während der zweiten Intifada, unter der Hand ging die Kooperation in Sicherheitsfragen aber weiter. Diese Zusammenarbeit hat viel mit der jüdischen Gemeinde in Marokko zu tun. Zwar sind Hunderttausende von Juden nach Israel ausgewandert, doch die noch verbliebenen Juden erfreuen sich des königlichen Schutzes. Zudem konnten Israeli auch bisher schon problemlos nach Marokko reisen.

Wie die Golfstaaten sieht auch Marokko den Iran als Bedrohung an. Rabat kappte 2018 die Beziehungen zu Teheran, weil der Iran die Westsahara-Separatistenbewegung Polisario über die Hisbollah finanzierte.

Lange davor hatte Marokko eine Beziehung zu israelischen Geheimdiensten. Der marokkanische König Hassan II. gab Israel Aufzeichnungen eines Treffens der Arabischen Liga, die Israel bei der Vorbereitung auf den Sechstagekrieg 1967 halfen, so der ehemalige IDF-Geheimdienstchef Schlomo Gasit und der ehemalige Geheimdienstler und Kabinettsminister Rafi Eitan. Im selben Jahr half der Mossad Marokko, einen Dissidenten aus Frankreich zu entführen.

Französische Medien berichteten, dass Marokko im Januar dieses Jahres drei Drohnen für 48 Millionen Dollar von Israel gekauft hat.

Premierminister Netanjahu ging in seinen Anmerkungen zu den Normalisirungsabsichten am Donnerstagabend vor der Westmauer in Jerusalem jedoch ausgeprägt auf die vielen Israelis marokkanischer Herkunft und nicht auf Sicherheitsfragen ein.

Trump erfüllt einen Wunsch Marokkos

Präsident Trump folgte wie bei den anderen Normalisierungsabkommen einem Muster: Um den Durchbruch zu erzielen, machte er dem jeweiligen arabischen Land grosse Zugeständnisse.

Mit der neuesten Vereinbarung erfüllte Trump dem marokkanischen Monarchen einen langgehegten Wunsch: die Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara.

Der umstrittene Status der Westsahara

Das Territorium an der Atlantikküste Nordwestafrikas zählte 2019 knapp 600‘000 Einwohner, vor allem Araber und arabisierte Berber.

Seit die Kolonialmächte auf der Kongokonferenz 1884–1885 in Berlin Afrika unter sich aufteilten und die Westsahara Spanien zusprachen, war Westsahara eine spanische Kolonie. Am 16. Februar 1976 beschloss Spanien unter Druck, die Kolonialherrschaft aufzugeben und zog sich zurück. Daraufhin annektierte Marokko die nördlichen zwei Drittel der Westsahara, Mauretanien das südliche Drittel. Mauretanien erklärte 1979 den Verzicht auf alle Ansprüche in der Westsahara, worauf Marokko auch das südliche, ehemals mauretanisch verwaltete Drittel der Westsahara annektierte.

Bereits am 27. Februar 1976 hatte die von Anfang an von Algerien unterstützte Befreiungsbewegung Polisario die Demokratische Arabische Republik Sahara ausgerufen und einen bewaffneten Kampf gegen Marokko begonnen. 1991 wurde er durch einen Waffenstillstand beendet und dieser anschliessend durch eine UNO-Mission, die MINURSO (Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental), überwacht, an der auch die Schweiz beteiligt ist. Am 13. November 2020 erklärte die Frente Polisario den seit 29 Jahren bestehenden Waffenstillstand für beendet.

Ausser der Anerkennung der Annexion von Westsahara sicherte Trump laut dem marokkanischen König die Eröffnung eines Konsulats im umstrittenen Gebiet, konkret in Dakhla, zu, das, gemäss marokkanischer Lesart, «in erster Linie eine wirtschaftliche Berufung hat, um amerikanische Investitionen und Beiträge zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu fördern, auch zum Nutzen der Bewohner der südlichen Provinzen.»

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, eines der wenigen Länder, die in der bis heute nicht gelösten Westsahara-Frage schon länger hinter Marokko stehen, betreiben ein Konsulat in der Westsahara.

Erwartet werden durch die Vereinbarung auch Investitionen der USA an Marokko in Milliardenhöhe.

Proclamation on Recognizing The Sovereignty Of The Kingdom Of Morocco Over The Western Sahara
(The White House, 10.12.2020)

(RK)

Bild 1: Flagge des Königreichs Marokko

Bild 2 ) Seit der Staatsgründung Israels haben Hunderttausende Juden Marokko verlassen, doch haben viele von ihnen Kontakt zur alten Heimat bewahrt.

Bild 3: Marokkos König Mohammed VI

Bild 4: Nordwestafrika mit Marokko und Westsahara