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Ein Wort des Vizepräsidenten

 

Seit einigen Jahren hält die Gesellschaft Schweiz-Israel laufend alles fest, was in der deutsch- und französischsprachigen Schweizer Presse über Israel und den Nahen Osten geschrieben wird (die italienischsprachige Schweizer Produktion ist weniger gut dokumentiert). Die Zusammenstellung wird an alle unsere Mitglieder geschickt, die sie anfordern.

Eine aufmerksame Beobachtung dieser Produktion zeigt einen bedeuenden Unterschied in der journalistischen Sensibilität gegenüber Israel: Während die deutschsprachige Schweizer Presse im Allgemeinen objektiv und sachlich über Israel informiert, ist die französischsprachige Presse anders: Sie kritisiert gerne und wählt Themen aus, die Israel nicht in einem günstigen Licht darstellen. Beispiel: La Liberté vom 26.01. titelt «Kein Impfstoff für Palästinenser»; der Hauptteil des Artikels ist allerdings nuancierter.

Meiner Meinung nach würde es viel zu weit gehen, dies mit kulturellen oder gar sprachlichen Unterschieden zu erklären. Tatsache ist, dass die Art und Weise, wie über die Fakten berichtet wird – die Berichterstattung – unterschiedlich ist: Auf der einen Seite steht das Bemühen um vollständige Information, auf der anderen Seite der Kommentar. Mit anderen Worten, und auch wenn meine Meinung eine nuanciertere Realität abdeckt, hält es der französischsprachige Informationsproduzent für sinnvoll, seinen Leser zu einem «richtigen» Verständnis der berichteten Fakten zu führen, während sein deutschsprachiges Pendant seinen Leser für intelligent genug hält, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Auch wenn es in Medien gibt, wie Le Temps, die keine Journalisten beschäftigen, die offen israelfeindlich sind, begrüssen sie dennoch Berichte, die nicht sehr günstig für Israel sind. So konnte ein kleiner Kreis ehemaliger humanitärer Helfer und anderer Nostalgiker die Entlassung von Pierre Krähenbühl aus dem UNRWA nicht verdauen; er lancierte in Le Temps die Theorie einer Verschwörung, die unter anderem von unserem Aussenminister Ignazio Cassis ausgebrütet worden sei: der unglückliche Mann ist Israel eher wohlgesonnen, sehr zum Missfallen von Nationalrat Carlo Sommaruga, der in der Presse und sogar auf RTS ausdrücklich nicht erwähnt, dass er die schweizerisch-palästinensische Parlamentariergruppe präsidiert! Apropos Verschwörung: Ist es nicht eher diese Seilschaft, die unter der Hand arbeitet, um die Position eines ungeliebten Bundesrates zu untergraben?

Die französischsprachige Presse interessiert sich nicht für das Abstimmungsverhalten der Schweizer Vertreter in internationalen Gremien: Sie sagt nichts über die Schweizer Unterstützung (ausnahmsweise Enthaltung) der zahllosen anti-israelischen Resolutionen des UNO-Menschenrechtsrates, auch nicht über den berühmten «Tagesordnungspunkt 7», der Israel zu einem Sonderfall macht, der jedes Jahr behandelt werden muss. Es überraschte auch nicht, als der Schweizer Delegierte an der Generalversammlung der WHO im letzten November eine verlogene anti-israelische politische Resolution unterstützte; dieser Delegierte des Eidgenössischen Departements des Innern, oder wahrscheinlicher sein Chef Alain Berset, beschränkte sich auf eine schnelle und oberflächliche Konsultation seiner kompetenten aussenpolitischen Kollegen. Unter anderen Umständen würde man dies als schweres Fehlverhalten bezeichnen, und man würde sich wundern. Nicht in der französischsprachigen Presse.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Westschweizer Presse lernen muss, ihre Sachinhalte von ihren Meinungsinhalten zum Thema Israel und Nahost zu trennen. Von einem Angriff auf die Pressefreiheit kann natürlich nicht die Rede sein, dazu ist sie zu kostbar für uns. Es geht darum, die Sachverhalte richtig darzustellen: über die Fakten zu sprechen, auf ihre Besonderheiten einzugehen und ihre Interpretation getrennt darzustellen. Andererseits ist es nicht meine Sache, zu instrumentalisieren, bestimmte Argumente zu privilegieren und andere wegzulassen.

J.A. Neyroud, Vizepräsident der GSI
Lausanne, 3. Februar 2021

Übersetzung aus dem Französischen: RK