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Oberstes Gericht verlangt Anerkennung nichtorthodoxer Konversionen

 

Der Oberste Gerichtshof Israels (Bilder 1 bis 3) hat am Montag, 1. März, ein wegweisendes Urteil in Sachen Übertritte zum Judentum gefällt: Ab sofort muss der Staat auch in Israel durchgeführte reformierte und konservative Konversionen anerkennen und den Betreffenden auf der Grundlage des so genannten Rückkehrgesetzes die Staatsangehörigkeit verleihen.

Der Entscheid des «Supreme Court» betrifft nur im Land Konvertierte

Nach dem Rückkehrgesetz ist es jedem Menschen, der im Ausland zum Judentum konvertiert ist, erlaubt, in Israel einzuwandern. Den Pass erhält er in der Regel automatisch. Dieses Gesetz unterscheidet nicht, innerhalb welcher Strömung des Judentums der Übertritt durchgeführt wurde.

Unter dem Strich, so haben es die israelischen Medien ausgerechnet, profitieren davon zahlenmässig nur wenige Menschen im Jahr. Doch die Aufregung ist deshalb so gross, weil es bei diesem Richterspruches letztlich ums grosse Ganze geht: um das Verhältnis zwischen Staat und Religion – und um die Frage: Wer ist ein Jude?

Das Urteil bezieht sich auf jene, die in Israel konvertiert sind und denen im Anschluss daran die Staatsbürgerschaft verwehrt wurde. Bei der Mehrzahl handelt es sich um Partner von israelischen Bürgern.

In Israel aber hatten bislang allein die orthodoxen Rabbiner das Exklusivrecht auf die Anerkennung der Konversion für die Staatsbürgerschaft. Im Kern geht es dabei um einen innerjüdischen Konflikt zwischen orthodoxen und liberalen Strömungen. Die Orthodoxen sind in Israel tonangebend über den sephardischen und den aschkenasischen Oberrabbiner.

Jedes Jahr konvertieren in Israel einige Hundert Menschen durch die reformierten und konservativen Bewegungen zum Judentum. Die grosse Mehrheit von ihnen hat bereits die israelische Staatsbürgerschaft entsprechend des Rückkehrrechts. Dieses besagt unter anderem, dass es ausreicht, wenn die Grossmutter oder der Grossvater jüdisch ist oder war, um Alija zu machen.

Rückkehr, nicht Einwanderung

In der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel vom 14. Mai 1948 zog der erste Premierminister, David Ben-Gurion, eine Linie von der Vertreibung der Juden aus Palästina vor fast 2‘000 Jahren über die Ursprünge des Zionismus im späten 19. Jahrhundert bis zum Holocaust und dem Beschluss der Vereinten Nationen, in einem Teil Palästinas einen jüdischen Staat zu gründen.

Die Überlegung war: «Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Der Staat Israel soll der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen.»

So verabschiedete das Parlament, die Knesset, gut zwei Jahre nach der Staatsgründung und nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges am 5. Juli 1950 ein Gesetz, dessen erster Artikel lautet: „Jeder Jude hat das Recht, ins Land einzuwandern.

Das hebräische Original spricht allerdings von «Alija», auf Deutsch «Aufstige». Gemeint ist damit der Aufstieg oder die Rückkehr nach Jerusalem, und so heisst das Gesetz nicht Einwanderungs-, sondern Rückkehrgesetz.

Man hatte sich auf den Namen Rückkehr einigen können, weil das für die jüdische Tradition sehr wesentlich ist, diese Erinnerung an das Gelobte Land und die Vertreibung daraus. Sowohl in der religiösen Tradition, aber auch in der säkularen Tradition des Judentums ist der Gedanke, dass man früher ein einheitliches Volk war in einem Gebiet, das zum Zeitpunkt der Staatsgründung Palästina, d.h. das britische Mandatsgebiet Palästina, war.

Langes Warten auf die Anerkennung

Die Entscheidung des Obersten Gericht ist der einstweilige Abschluss eines Berufungsprozesses, der vor mehr als 15 Jahren begann und 12 Personen betraf, die in Israel durch die nicht-orthodoxen Strömungen zum Judentum konvertiert waren und deren Antrag auf Staatsbürgerschaft deswegen vom Innenministerium abgelehnt wurde.

Über 15 Jahre lang hatte das Religious Action Center in Israel versucht, dies aussergerichtlich zu ändern und eine Einigung mit dem Staat zu erreichen. Jedoch ohne Erfolg. Zu stark war die Ablehnung des Obersten Rabbinats.

Die Vorsitzende des Obersten Gerichts, Richterin Esther Chajut (Bild 4), merkte nach dem Entscheid des Suprime Court an, dass das Gericht wiederholt eine Entscheidung verschoben habe, um eine Gesetzgebung zu diesem Thema zu ermöglichen. Der Staat habe jedoch versäumt, dies zu tun. Und: «Es ist eine zivile, keine religiöse Angelegenheit»

Die Richterin Dafna Barak-Erez ergänzte: «Da die ‹Rechte der Menschen in der Schwebe hingen› und keine solche Gesetzgebung vorankam, hat das Gericht beschlossen, sein Urteil zu fällen.»

Das Urteil wurde mit acht von neun Stimmen gefällt. Richter Noam Sohlberg stimmte dagegen. Seine Begründung: «Ich bin zwar mit der ‹rechtlichen Schlussfolgerung des Urteils› einverstanden, glaube aber, dass der Knesset mehr Zeit zum Handeln hätte gegeben werden sollen.»


Scharfe Kritik seitens der Oberrabbiner

Dass die Untätigkeit des Gesetzgebers nun vom Obersten Gericht korrigiert wurde, hat scharfe Kritik aus dem rechten politischen und dem religiösen Lager hervorgerufen. Der sephardische Oberrabbiner Jitzhak Josef schimpfte, «was die Reformierten und Konservativen als Konversion bezeichnen, ist nichts als eine Fälschung des Judentums». Der aschkenasische Oberrabbiner David Lau erklärte, solchermassen Konvertierte seien «keine Juden».

Die Orthodoxie läuft gegen den Entscheid des Obersten Gerichts erwartungsgemäss Sturm, nicht zuletzt deshalb, weil sie in Israel ihr Monopol sowohl in religiösen als auch in zivilrechtlichen Fragen vehement verteidigt. Wer in dem Urteil jetzt einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung des Reform-orientierten und konservativen Judentums sieht, sollte bedenken, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts sehr eng gefasst ist. Sie weist allein das Innenministerium, aber nicht das Rabbinat, dazu an, die wenigen reformierten und konservativen Konversionen, die jedes Jahr innerhalb Israels durchgeführt werden, im Kontext der Einwanderung als jüdisch anzuerkennen. Für alle anderen Angelegenheiten wie Eheschliessungen und Beerdigungen hat sie keinerlei Bedeutung. (RK)

Symbolbild

Bild 1: Das architektonisch eindrückliche Gebäude des israelischen Obersten Gerichtshofs in Jerusalem.

Bild 2: Der Tagungsraum des Obersten Gerichtshofes (High Court of Justice).

Bild 3: Blick in den Tagungsraum des Obersten Gerichtshofes. In der Mitte die Vorsitzende des Gerichts, Esther Chajut.

Bild 4: Richterin Esther Chajut, Präsidentin des israelischen Obersten Gerichtshofes.