Tage der Freude - Tage der Tragik
Von Rolf Koch, Vizepräsident und Webmaster GSI
Am Samstagabend (12.5.), genauer am frühen Sonntagmorgen, liefen vor allem in Tel Aviv viele meist junge Leute auf die Strasse, um sich gemeinsam über den Sieg ihrer Sängerin Netta am Eurovision Song Contest zu freuen und zu feiern.
Am Sonntag (13.5.) wurde Jom Jeruschalajim begangen, der Jerusalem-Tag, der vor allem von jungen Jerusalemern gefeiert wurde.
Der Montag (14.5.) war der 70. Jahrestag der Erklärung der Unabhängigkeit des Staates Israel (nach gregorianischem Kalender). Ausserhalb Israels gedachte man dieses Jahrestags. Israel hatte den Jom HaAtzma'ut bereits am 19. April begangen. Der 5. Ijar war dieses Jahr auf jenen Tag gefallen.
Im Zentrum des Interesses stand in Israel an diesem Tag jedoch die Eröffnung der Botschaft der USA in Jerusalem – zur Freude der meisten Israelis, denn sie war die konkrete Bestätigung der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA – zum Ärger und Zorn vieler Palästinenser, die sie als Provokation empfinden, die sie mit Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen beantworteten. Die Botschaftseröffnung, der am 6. Dezember 2017 die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch US-Präsident Donald Trump vorausgegangen war, hatte den Zorn eines Grossteils der palästinensischen Bevölkerung geweckt.
Dass der Dienstag (15.5.) nicht friedlich verlaufen würde, war von vornherein klar. Es ist für die Palästinenser der Tag der Nakba, der Katastrophe, an dem es jedes Jahr zu Ausschreitungen kommt. Während im Gazastreifen die Toten begraben wurden, kam es im Westjordanland zu Konfrontationen von Palästinensern mit israelischen Sicherheitskräften, die sich jedoch «im Rahmen hielten», wenn man das so relativieren darf.
Sonntag, 13. Mai 2018
Jom Jeruschalajim (Jerusalem-Tag)
Der Israel-Tag (hebräisch Jom Jeruschalajim) ist seit 1968 ein israelischer Feiertag. Er findet nach dem jüdischen Kalender am 28. Ijar statt, der dieses Jahr auf den 13. Mai fällt.
An diesem Tag feiert die jüdische Bevölkerung Israels, vor allem jene von Jerusalem selbst, die Wiedervereinigung der Stadt Jerusalem. Während des Sechstagekrieges 1967 eroberte Israel Ostjerusalem, das von 1948 bis 1967 von Jordanien besetzt war. Durch den israelischen Sieg wurden die beiden bis dahin getrennten Teile von Jerusalem unter israelischer Kontrolle vereinigt. Aufgrund der biblischen Bedeutung Jerusalems für die jüdische Bevölkerung repräsentiert dieser Feiertag den Stolz und die Wichtigkeit der Hauptstadt Israels. Durch die Verabschiedung des Jerusalemgesetzes am 30. Juli 1980 erhob die Knesset das vereinte Jerusalem in seiner Gesamtheit zur Hauptstadt Israels.
Durch die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump am 6. Dezember 2018 und die für morgen Montag vorgesehene Eröffnung der einstweiligen Dependance der US-Botschaft in Jerusalem ist dies international in den Fokus des palästinensisch-israelischen Konflikts gerückt.
Jerusalem - die Hauptstadt Israels
Vor 3000 Jahren machte König David Jerusalem zu seiner Hauptstadt. Seit der Wiedererrichtung des jüdischen Staates in der angestammten Heimat der Juden im Jahr 1948 dient Jerusalem als Hauptstadt Israels, wo sich die führenden Politiker der Welt mit den Führern Israels treffen, wo sich der Sitz des Staatspräsidenten, die meisten Ministerien, das Israelische Parlament, der Oberste Gerichtshof und zahlreiche nationale Institutionen befinden.
Ein weiteres Video zum Jerusalem-Tag vermittelt Eindrücke aus dieser ganz besonderen Stadt mit eindrücklichen Aufnahmen aus der Luft.
Wie glücklich ist die Jerusalemer Bevölkerung? - Eine Umfrage
Das israelische Statistische Zentralbüro (CBS) hat im Vorfeld des Jerusalemtags eine Umfrage bei der Jerusalemer Bevölkerung gemacht. Diese ergab, dass 88 Prozent der jüdischen Einwohner glücklich sind mit dem Ort, in dem sie leben. Bei der palästinensischen Bevölkerung sind es 49 Prozent.
Laut CBS-Zahlen belief sich die Bevölkerung von Jerusalem Ende 2017 auf rund 900'000 Menschen, was rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Israels sind. Ende 2016 waren laut CBS 551'000 oder 62,3 Prozent der Stadtbevölkerung jüdisch, nicht-arabische Christen oder Angehörige anderer Religionen. Die arabische Bevölkerung Jerusalems machte 332'600 Menschen aus, 37,7 Prozent der Stadtbevölkerung. Die religiösen bis sehr religiösen Juden nehmen eine zunehmend dominierende Position ein: 36,8 Prozent der Einwohner definieren sich als charedisch (ultra-orthodox), 20 Prozent als religiös, 10,7 Prozent als traditionell-religiös, 10,9 Prozent als traditionell, aber nicht sehr religiös und immerhin noch 21,5 Prozent als säkular. Schliesslich wächst der Stellenwert Jerusalems als touristischer Anziehungpunkt unentwegt: Trotz Unruhen in der israelischen Hauptstadt wuchs der Tourismus der Stadt im Berichtsjahr um beachtliche 25 Prozent. Dabei stieg die Zahl der ausländischen Gäste mit 36 Prozent überdurchschnittlich. Rund 1,1 Millionen Ausländer statteten Jerusalem 2017 einen Besuch ab.
(tachles)
Montag, 14. Mai 2018
70. Jahrestag der Unabhängigkeit
Am Freitag, 14. Mai 1948 (5. Ijar 5708), um 16 Uhr, noch vor Sonnenuntergang und damit vor Beginn des Schabbats und Stunden bevor das britische Mandat für Palästina um Mitternacht endete, versammelte sich der Jüdische Nationalrat im Stadtmuseum von Tel Aviv. Unter dem Porträt des Gründers der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, verkündete David Ben-Gurion durch Verlesen der Unabhängigkeitserklärung «kraft des natürlichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes und aufgrund des Beschlusses der UNO-Vollversammlung» die Errichtung des Staates Israel.
Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem
Zur Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und zur Reaktion der Palästinenser schrieb Jacques Ungar auf der Nachrichtenplattform «tachles»: «Die feierliche Eröffnung der US-Botschaft im Westjerusalemer Viertel Arnona legte einerseits ein beeindruckendes Zeugnis ab für die tiefe Freundschaft und Allianz zwischen Washington und Jerusalem. Die Reden von Staatspräsident Rivlin, die Video-Botschaft von Präsident Trump und die Worte von Premier Netanjahu waren ebenso wie die bei allem Realismus optimistischen Ausführungen von Jared Kushner geprägt vom unerschütterlichen Bekenntnis zu Jerusalem, aber auch von der trotz aller nicht ignorierter Problemen gestärkter Hoffnung auf eine Rückkehr zum Friedensprozess. Nicht zu vergessen die ernst gemeinten und ebenso empfundenen Worte des Dankes an den amerikanischen Präsidenten, der nicht nur Versprechungen machte sondern sie auch hielt.»
Tausende Polizisten und Soldaten waren aufgeboten worden, um die sichere Durchführung der Eröffnungsfeier zu gewährleisten und Zwischenfälle zu vermeiden. Es kam zu Demonstrationen von Palästinensern gegen die Botschaftseröffnung in der Nähe der Botschaft selbst, aber auch im Westjordanland in Ramallah, Hebron, Bethlehem, Nablus und Jericho.
Stimmungsbild aus Jerusalem
In der Sendung «Rendez-vous am Mittag» von Radio SRF 1 berichtete Susanne Brunner aus Jerusalem, wie man in dieser Stadt den Jahrestag der Staatsgründung wahrnahm. Ihre Schilderung und vor allem ein beispielhaftes Erlebnis tönten doch etwas zuversichtlicher, als das was die meisten ausländischen Medien vermittelten.
Beispiellose Gewalt am Sicherheitszaun zum Gazastreifen
40'000 Personen folgten den Aufrufen der Hamas und fanden sich an dreizehn Orten an der Grenze des Gazastreifens zu Israel ein, zum Teil um die Konfrontation mit den israelischen Sicherheitskräften zu suchen und die Grenze gewaltsam zu passieren. Laut einem Bericht der New York Times ermutigte die Hamas die Demonstranten zum Sturm auf die Grenzsperranlagen, mit Lautsprechern und teilweise auch mit der Falschinformation, diese sei bereits durchbrochen. (siehe Bild 1 und 2)
Die israelische Armee verhinderte Grenzverletzungen und reagierte auf Angriffe der Palästinenser mit scharfer Munition, wie sie das angekündigt hatte. Nach palästinensischen Quellen kamen dabei 60 Demonstranten ums Leben. Nach israelischen Angaben waren mindestens 24 von ihnen Militante der Hamas. 2'770 wurden verletzt.
So wurden acht Aktivisten bei einem Gefecht mit Soldaten der israelischen Maglan-Eliteeinheit getötet. Sie hatten versucht, den Grenzzaun zu überwinden und nach Israel einzudringen. Dabei hatten sie Rohrbomben und Granaten auf die Soldaten geschleudert und sie beschossen. Auf ihnen wurden Waffen, Messer, Brecheisen und Drahtschneider gefunden.
Nach IDF-Angaben hatten sich zahlreiche Aufrührer mit Sprengstoff, Gewehren, Molotowcocktails und Branddrachen an der Grenze zusammengerottet, um den Sicherheitszaun zu durchbrechen. Die israelische Luftwaffe hatte am Morgen über dem Gazastreifen Flugblätter abgeworfen. mit dem Aufruf, den Grenzanlagen fernzubleiben. «Die Hamas missbraucht euch, um von ihrem Versagen abzulenken. Sie bringt euch und eure Familien in Gefahr.»
Auch Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman mahnte die Menschen in Gaza, sich nicht «verblenden zu lassen» von der radikalislamischen Führung. Die Israeli Security Agency (Schin Bet; Israelischer Sicherheitsdienst) veröffentlichte Auszüge aus Verhören mit festgenommenen palästinensischen Demonstranten. «Der Iran schickt Geld an die Hamas zur Finanzierung gewaltvoller Aktionen in der Grenzregion», sagte ein 19-jähriger Palästinenser aus. Ein anderer Häftling berichtete über Hamas-Mitglieder, die sich in Zivil unter die Demonstranten mischen und Benzin ausgeben für die mit Brandsätzen präparierten Drachen. Immer wieder hat die israelische Feuerwehr in den letzten Tagen Flächenbrände auf den Kornfeldern der benachbarten Kibbuzim gemeldet.
«Diese Unruhen stellen beispiellose Gewalt dar», sagte Brigadegeneral Ronen Manelis, der Sprecher der IDF, über die Unruhen. «Auf Facebook-Seiten der Hamas werden Karten gezeigt (Bild 3), auf denen der Weg über die Grenze zu israelischen Dörfern und Kibbuzim gezeigt wird. Das Ziel ist offensichtlich: Das Durchbrechen des Grenzzauns, das Infiltrieren auf israelisches Territorium um israelische Soldaten und Zivilisten zu töten und zu entführen», führte General Manelis weiter aus. «Eine souveräne Nation kann das nicht zulassen.»
Der Hamas, die einen Grossteil der Schuld an dieser opferreichen Randale trägt, ist – so zynisch das klingen mag – jeder einzelne palästinensische Tote und Verletzte willkommen. Je mehr Opfer es gibt, umso mehr gelingt es ihr, die «Weltgemeinschaft» für sich und ihre Zwecke einzunehmen und Israel bei den westlichen Regierungen und Öffentlichkeit zu diskreditieren. Diese Taktik hat sich immer wieder bewährt. Die Hamas schickt die Demonstranten in den Tod, um die Empörung und den Hass auf Israel politisch auszunutzen.
Zwar wurde als Grund für die heutigen Ausschreitungen die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem geltend gemacht. Dennoch sind die Demonstrationen primär Teil des von der Hamas ausgerufenen «Marsches der Rückkehr», der die Gewalt seit Wochen befeuert: Dabei vermischen sich die Wut über ökonomische Perspektivenlosigkeit und Isolation im Gazastreifen mit dem 70. Jahrestag der Nakba (siehe folgenden Tag). Hier treffen gegensätzliche historische Erfahrungen auf beiden Seiten der Grenze aufeinander.
Ägypten warnte die Hamas
Da in Anbetracht der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem der palästinensische Gewaltausbruch zu erwarten war, hatte Ägypten Spitzenmitglieder der Hamas nach Kairo eingeladen und sie davor gewarnt, die Bevölkerung des Gazastreifens zu drängen, den Sicherheitszaun zu durchbrechen. Stattdessen baute die Hamas Aussenposten nahe der Grenze ab, um es den Demonstranten zu erleichtern, den Zaun zu erreichen.
Surreale 24 Stunden
Die israelische Zeitung «Haaretz» veröffentlichte eine Bildgalerie und titelte: «Jerusalem zelebriert, Tel Aviv feiert und Gaza blutet – surreale 24 Stunden.» Getrennt durch weniger als 50 Meilen, Szenen des entsetzlichen Blutvergiessens und des Jubels, als der tödliche Tag der Gaza-Proteste mit dem historischen Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem und Israel zusammenfiel, das seinen Eurovisionssieg feierte.
Dienstag, 15. Mai 2018
Tag der «Nakba»
Der 15. Mai, der erste Tag nach der Gründung des Staates Israel, wird von den Palästinensern als Nakba-Tag bezeichnet, als Tag der Katastrophe. Sie erinnern sich an die Flucht und Vertreibung von über 700'000 ihrer Landsleute, als an jenem Tag vor 70 Jahren kurz nach Mitternacht fünf arabische Staaten (Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak) Israel von allen Seiten angriffen und es in einem achtmonatigen Krieg zu vernichten suchten.
Die arabischen Führer forderten damals die palästinensische Bevölkerung auf, das Gebiet bis zu ihrem Sieg und zur Vernichtung Israels zu verlassen. Zahlreiche folgten diesem Aufruf, andere wurden im Laufe der Kämpfe vertrieben.
«Nakba» und «Marsch der Rückkehr»
Dieses Jahr hat der Tag für die Palästinenser eine zusätzliche Bedeutung. Er sollte der Höhepunkt des «Marsches der Rückkehr» bilden, einer Protestaktion der Palästinenser im Gazastreifen, die seit dem 30. März andauert. Seit jenem Tag marschieren jeweils am Freitag (dem muslimischen Ruhetag) an der Grenze des Gazastreifens zu Israel mehr oder weniger grosse Menschenmassen auf, um zum Teil gewaltsam zu protestieren. Sie verlangen ein Recht zur Rückkehr an die Orte im heutigen Israel, die ihre Vorfahren 1948 verlassen hatten. Israel musste befürchten, dass die palästinensischen Führer im Gazastreifen die Menschenmassen auffordern werden, die Grenze zu stürmen und nach Israel einzudringen. Israel musste dies verhindern, war doch anzunehmen, dass auch Attentäter auf diese Weise nach Israel eindringen würden.
Jährlich wiederkehrende Ausschreitungen
Am Jahrestag der Nakba kommt es regelmässig zu gewaltsamen Ausschreitungen der Palästinenser Westjordanland und im Gazastreifen. Heute fielen sie im Gazastreifen weniger heftig aus als erwartet. Dort wurden die Toten der gestrigen Auseinandersetzungen beerdigt, Zehntausende nahmen an den Bestattungen teil.
An den Grenzzäunen zu Israel war die Situation heute denn auch ruhiger als erwartet. Die israelischen Streitkräfte vermeldeten am späten Nachmittag auf Twitter rund 400 Demonstranten an sieben Standorten.
An diesem Tag nach den gestrigen Konfrontationen an der Gaza-Grenze waren alle Geschäfte in den Palästinensergebieten und in Ostjerusalem geschlossen . Auch Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen blieben zu. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte zuvor drei Tage Trauer anberaumt. Alle politischen Fraktionen im Westjordanland riefen zu Protesten an israelischen Armeekontrollpunkten auf.
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