Vor 50 Jahren über Würenlingen: «330 is crashing» – «Goodbye everybody»
«330 is crashing» – «Goodbye everybody» «([Swissair-Flug] 330 stürzt ab» – «Auf Wiedersehen [ihr] alle») war der letzte Funkspruch aus der Convair CV-990 «Coronado» der Swissair mit der Immatrikulation HB-ICD und dem Namen «Basel-Land» (Bild 2), bevor sie im Unterwald westlich des Dorfes Würenlingen zerschellte und alle Insassen mit in den Tod riss. Diesen letzten Funkspruch setzte der Copilot Armand Etienne ab, die letzten zwei Worte hörbar tränenerstickt.
Swissair-Anschlag in Würenlingen: Der schlimmste Terrorakt der Schweizer Geschichte
Vor 50 Jahren kamen beim Absturz einer Swissair-Maschine in Würenlingen 47 Personen ums Leben. Wichtige Fragen sind bis heute unbeantwortet.
Video , NZZ, 7:49 Min.
Zahlreiche Menschen gedachten der Opfer
Genau 50 Jahre nach dem grössten Terroranschlag in der Schweiz versammelten sich rund 300 Menschen, Angehörige und Freunde aus der Schweiz, aus Israel, aus Kanada und Deutschland, beim Gedenkstein (Bilder 3 bis 5) auf der Absturzstelle im Unterwald Würenlingen, auf dem die Namen der 47 Opfer verzeichnet sind.
Im Beisein des Aargauer Regierungsrats Jean-Pierre Gallati, des Israelischen Botschafters in der Schweiz Jacob Keidar, des Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) Herbert Winter und der Gemeindebehörden von Würenlingen erinnerten die beiden Organisatoren, Arthur Schneider und Ruedi Berlinger, bei der Gedenkstätte daran, dass die Angehörigen noch immer auf Antworten der Bundesbehörden warten, warum die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.
In der Einladung hatten die Organisatoren, der damals 28-jährige Gemeinderat und spätere Gemeindeammann von Würenlingen, Arthur Schneider, und Ruedi Berlinger, der Sohn des Flugkapitäns der abgestürzten Maschine, geschrieben: «Dieses traurige Kapitel in der Geschichte der Schweizer Luftfahrt darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist uns ein grosses Anliegen, Sie alle zu diesem Anlass herzlich einzuladen, an dem das Gedenken an die Opfer und die Solidarität mit den Angehörigen im Zentrum stehen.»
Die Feier begann um 13.34 Uhr, zur selben Zeit als der Pilot den letzten Funkspruch absetzte. Ein Dudelsack-Trio – dabei Ruedi Berlinger und seine Partnerin Martina Feuerstein – eröffnete die Zeremonie, bevor der Sohn des Kapitäns der abgestürzten Maschine, die Anwesenden, Angehörige und Freunde der Opfer und Zeitzeugen, begrüsste. Ihm schloss sich Arthur Schneider mit Gedanken zur Tragödie an.
In einer Grussbotschaft im Namen der Aargauer Regierung sagte der Vorsteher des Departementes Gesundheit und Soziales, Regierungsrat Gallati, dass der Terroranschlag das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert habe. Die aktuelle Situationen mit immer noch offenen Fragen sollte aus Sicht der Aargauer Regierung geklärt werden.
Gallati betonte, dass die Feier den Angehörigen und allen Leidtragenden der Katastrophe gewidmet sei. «Der Flugzeugabsturz hat nicht nur eine tiefe Schneise in den Würenlinger Wald geschlagen und das Verhältnis zwischen Bürger und Staat belastet, sondern vor allem bei den betroffenen Menschen eine tiefe Schneise in ihre Herzen gerissen.»
Israels Botschafter Keidar (Bild 6) erinnerte in seiner Grussbotschaft daran, dass der Terroranschlag auf die SR 330 Teil einer sehr langen Liste von Anschlägen gegen Zivilisten sei. Passagiere und Besatzungsmitglieder seien unschuldige Opfer gewesen.
Ansprache des israelischen Botschafters
Umrahmt von Einlagen des Synagogenchors der israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) legten die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, vorab Regierungsrat Gallati, Botschafter Keidar, SIG-Präsident Winter und die Delegation des Würenlinger Gemeinderates mit dem Ammann André Zoppi, Kränze und Blumengebinde nieder und zündeten Kerzen an. Mit einer Installation von 47 Kerzen erinnerte der Angehörige und Organisator Berlinger an jedes einzelne der Opfer. Shay Zorger, Kantor der ICZ, trug das Totengebet «Kaddisch» und «El Male Rachamin», das Gebet zum Todestag, vor. Der katholische Seelsorger Guido Ducret (Würenlingen) und der reformierte Pfarrer Michael Rust (Villigen) sprachen Gebete im Namen der christlichen Konfessionen.
Bildergalerie des Gedenkanlasses (NZZ)
Mehrere hundert Menschen gedenken der Tragödie von Würenlingen
TV SRF, Schweiz aktuell, 21.2.2020, Video, 8:28 Min.
Absturz in Würenlingen AG: Ursache nie ganz geklärt
Dieses Unglück hat das Verständnis von Sicherheit in der Luftfahrt verändert.
TV SRF, Tagesschau-Hauptausgabe, Fr. 21.2.2020, 19.30 Uhr; Video, 3.02 Min.
Heute jährt sich Swissair-Absturz bei Würenlingen zum 50. Mal
Blick-TV-Sondersendung, Fr. 21.2.2020, Video, 3:48 Min.
Eine Bombe war im Frachtraum explodiert
Die Swissair-Maschine war um 13.14 Uhr auf dem Flughafen Zürich mit Destination Tel Aviv gestartet. Sieben Minuten nach dem Abheben, um 13.15 Uhr, als sich das Flugzeug nach dem Steigflug auf südlichem Kurs bei Sattel-Hochstuckli befand, explodierte im hinteren Laderaum eine Paketbombe. Die Piloten bemerkten über Brunnen einen Druckabfall und entschieden sich zu einer Rückkehr nach Zürich, um dort notzulanden. Wegen Rauchentwicklung im Cockpit hatten sie jedoch bald keine Sicht mehr auf die Instrumente.
Das Flugzeug driftete immer mehr nach Westen ab. Über Klingnau tauchte es aus der Wolkendecke aus. Um 13.34 Uhr setzen der Pilot die beiden einleitend zitierten letzten Funksprüche ab. Kurze Zeit später stürzte die Maschine mit einer Geschwindigkeit von 770 km/h in den Unterwald bei Würenlingen, nachdem auch die Stromversorgung ausgefallen war (Karte 7). Die 47 Insassen der Maschine waren sofort tot. Die fast vollbetankte Maschine zerbarst in einem Feuerball. Die Zerstörungskraft der Explosion war derart stark, dass keine einzige Person identifiziert werden konnte.
Flugzeugabsturz in Würenlingen
TV SRF (Archiv), Brennpunkt, 21. Februar 1995. Video, 6:12 Min.
Die Opfer
Von den 47 Opfern stammten 15 aus Israel, 9 aus Deutschland, 7 aus den USA, 2 aus Kanada und je eines aus England, Belgien, Senegal, Thailand und der Schweiz. Ein Pilot der Swissair war als Passagier an Bord, auf dem Weg zu einer UNO-Mission. Auch die neun Besatzungsmitglieder waren Schweizer. 20 der 47 Todesopfer waren jüdischen Glaubens, unter ihnen die 15 Israeli. Sie wurden am 3. März 1970 in Jerusalem mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt.
Die Täter
Noch am Tag des Absturzes bekannte sich ein Sprecher der Terrorgruppe Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command (PFLP-GC; Volksfront zur Befreiung Palästinas - General-Kommando) in Beirut zur Tat. Wenige Stunden später dementierte die PFLP-GC diese Erklärung jedoch.
Die schweizerische Bundeskriminalpolizei identifizierte Sufian Radi Kaddoumi und Badawi Mousa Jawher, zwei Jordanier, als mutmassliche Attentäter; sie konnte sie aber nicht festnehmen. Die gerichtspolizeilichen Ermittlungen wurden am 3. November 2000 von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft eingestellt.
Die näheren Umstände
Am Tag des Absturzes der Swissair-Maschine hatte es auch in einer Caravelle der Austrian Airlines (AUA), die auf dem Weg von Frankfurt nach Wien war, eine Explosion gegeben. Die Bombe riss ein Loch in den Rumpf, die Maschine konnte aber umkehren und sicher in Frankfurt notlanden. Die 38 Insassen (33 Passagiere und 5 Besatzungsmitglieder) hatten Glück.
Neuere Recherchen namentlich der Neuen Zürcher Zeitung, lassen den Schluss zu, dass die Bombenanschläge auf die AUA und die Swissair möglicherweise hätten verhindert werden können.
Der israelische Auslandgeheimdienst Mossad hatte die palästinensische Terrorzelle um Sufian Kaddoumi in Frankfurt auf ihrem Radar gehabt. Einzelne Mitglieder der Zelle hätten während ihres Aufenthalts in Deutschland häufig mit ihren Familien zu Hause telefoniert. Ihre Telefongespräche, namentlich auch nach Hause, soll der Mossad abgehört und so von den Anschlagsplänen erfahren haben.
Aufgrund dieser Geheimdienstinformation ergriffen die israelischen Sicherheitsbehörden Massnahmen, mit denen sie die Flugzeuge der El Al aus dem Schussfeld nahmen: die Umleitung des Fluges in München und die vorübergehende Nichtannahme von Paketpost in Frankfurt.
Panne bei der Übermittlung von Geheimdienstinformationen
Bei der Übermittlung der Erkenntnisse an die deutschen Behörden kam es zu einer Panne. Partnerdienst und somit direkter Ansprechpartner für den Mossad ist in Deutschland in der Regel der Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandgeheimdienst. Die Informationen des Mossad sollen jedoch an das hessische Landesamt für Verfassungsschutz gelangt sein. Es wurden jedoch offensichtlich keine Massnahmen ergriffen. Weder wurden die Mitglieder der Terrorzelle festgenommen noch wurden die zwei präparierten Paketbomben sichergestellt und unschädlich gemacht. Möglicherweise war man in Deutschland, im Gegensatz zu Israel, damals noch zu wenig sensibilisiert für Terroranschläge und schenkte dem Hinweis deshalb zu wenig Beachtung.
Die Schweiz hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen eigenständigen Nachrichtendienst. Geheimdienstliche Aufgaben nahm die Bundespolizei wahr, die damals in die Bundesanwaltschaft integriert war.
Fraglich ist auch, weshalb die beteiligten Geheimdienste nach der Notlandung der Maschine der Austrian Airlines in Frankfurt an jenem 21.Februar 1970 keine generelle Warnung an andere Fluggesellschaften erteilten, obwohl noch rund zwei Stunden Zeit bis zum Start der Swissair-Maschine gewesen wäre. So hätte der fatale Start der Swissair-Coronado in Zürich vielleicht doch noch in letzter Minute verhindert werden können.
Ebenfalls ungeklärt ist der Umstand, dass die Bombe erst auf dem Flug von Zürich nach Tel Aviv explodierte und nicht bereits auf dem Flug von München nach Zürich. Die Paketbombe soll in München aufgegeben worden sein. Die Detonation war durch einen Höhenmesser ausgelöst worden.
Zwar erklärten die Ermittler später, die für die Auslösung nötige Flughöhe sei nicht erreicht worden. Die Coronado der Swissair befand sich allerdings ihrerseits erst im Steigflug, als die Bombe zur Explosion gebracht wurde.
Damit gewänne ein Hinweis in einem FBI-Report weiter an Bedeutung. Darin heisst es, das Paket mit der Bombe sei in Zürich aufgegeben worden – mit der Anmerkung, diese Information stamme aus zuverlässiger Quelle. Sollte sich diese Hypothese bewahrheiten, würde das bedeuten, dass die Schweiz kein Zufallsopfer war – sondern dass sich der Anschlag gezielt gegen die Swissair richtete.
Naheliegend ist jedoch die Annahme, dass die Attentäter davon ausgegangen waren, dass die Bomben in den Frachträumen zweier israelischer El-Al-Maschinen detonieren würden, die an jenem Tag von München bzw. von Frankfurt nach Tel Aviv fliegen sollten. Doch dieser Plan ging nicht auf: Am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen verweigerte die El Al an jenem Tag die Annahme von Paketpost. Und in München fiel der El-Al-Linienflug gleich ganz aus. Das Bombenpaket wurde nach Zürich-Kloten umgeleitet.
Terror: Wende im Fall Würenlingen?
Blick-TV; Video, 25.22 Min.
Das erste Attentat auf Schweizer Boden
Am 18. Februar 1969 drangen vier Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), Abdel Mohsen Hassan, Amina Dahbour, Ibrahim Youssef und Mohamed Abu al-Heiga, mit automatischen Waffen auf das Vorfeld des Flughafens Zürich vor und griffen eine Boeing 720B der israelischen Fluggesellschaft El Al an. Sie beschossen sie, wobei der Copilot tödlich verletzt wurde. Ein israelischer Sicherheitsbeamter, Mordechai Rachamim, sprang aus dem Flugzeug und erschoss einen der Attentäter. Die drei anderen Terroristen, zwei Männer und eine Frau, wurden festgenommen.
Gegen die Attentäter wurde danach ein Prozess vor einem Geschworenengericht in Winterthur geführt. Die drei Angeschuldigten wurden zu je zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Routinemässig wurde im selben Prozess Rachamim wegen Tötung angeklagt und freigesprochen.
In der Schweiz rechnete man mit einer Aktion zu ihrer Befreiung. Die kam auch, allerdings erst im September 1970. Palästinenser entführten je eine Maschine der Swissair, der britischen BOAC und der US-amerikanischen TWA und zwangen sie zur Landung auf dem Wüstenflugplatz Zerka in Jordanien. Nach langen nervenzehrenden Verhandlungen kamen die Passagiere wieder frei. Die Flugzeuge wurden gesprengt.
Die Schweiz musste im Gegenzug die Attentäter vom Februar 1969 freilassen. Auf die juristische Verfolgung der Attentäter von Würenlingen wurde praktisch verzichtet, obwohl der Abschlussbericht klar festhielt, wer für den Absturz verantwortlich war. Der «Mord von Würenlingen» ist deshalb offiziell immer noch ungesühnt. Das führte zu Mutmassungen über ein mögliches «Stillhalteabkommen» zwischen der Schweiz und den Palästinensern. Davon handelt das Buch «Schweizer Terrorjahre» (NZZ 2016) des NZZ-Journalisten Marcel Gyr. Die Schweiz blieb tatsächlich in der Folge vom Terror verschont, der andernorts immer grässlicher wütete.
(RK)
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