Israel und die Schweizer Neutralitätspolitik
Israels Staatspräsident Jitzhak Herzog besucht Basel aus Anlass des 125. Jubiläums des ersten Zionistenkongresses. «Basel ist das Rütli Israels», war zu lesen. Unzählige Male wurde im Vorfeld des Jubiläums darauf verwiesen, dass es in Tel Aviv eine Basel Street gibt. Das ist von Journalistinnen locker hingeschrieben. Aber hat Basel, als Ausgangspunkt der Staatswerdung Israels, die Schweiz veranlasst, von Anfang an eine besondere Beziehung zum jüdischen Staat zu pflegen? Sie drängte sich nicht vor. 1948 ist die Vision Herzls Wirklichkeit geworden.
Erst am 25. Januar 1949 beantragte das EDA dem Bundesrat die Anerkennung Israels mit folgender Einleitung: «Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 23. Juli 1948 beschlossen, den Entscheid über die Anerkennung des Staates Israel zurückzuhalten. Völkerrechtlich bestanden schon damals keine zwingenden Bedenken gegen die Anerkennung. Aus politischen Erwägungen war jedoch Zurückhaltung geboten, weil frühzeitige Anerkennung eines um seine Existenz kämpfenden Staates von seinen Gegnern mit Recht als Begünstigung, als Einmischung in den Kampf, betrachtet wird und bewährter schweizerischer Praxis widerspricht (...)». Ich unterlasse es bewusst, auf die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine momentan intensiv geführte Diskussionen zur Neutralitätspolitik in unserem Land hinzuweisen.
Aber ich tue es im Zusammenhang mit der Nahostpolitik des Bundesrates. In ihren Prinzipien zur «Aussenpolitischen Strategie 2020–2023» hält die Landesregierung fest: «Die Neutralität ist ein wichtiges Instrument, um die Unabhängigkeit der Schweiz zu sichern. Das Neutralitätsrecht verlangt primär, nicht an bewaffneten internationalen Konflikten teilzunehmen und Konfliktparteien gleich zu behandeln. Die Neutralitätspolitik stellt die Wirksamkeit und die Glaubwürdigkeit der Schweizer Neutralität sicher.»
«Der Beginn eines Dialogs, der weitergeführt wird und nicht beendet ist.»
Im Februar 2021 verfasste die GSI ein «Memorandum zur Nahostpolitik des Bundesrates». Darin hielt sie fest: «Die Leitlinien der generellen schweizerischen Aussenpolitik hat der Bundesrat in der ‹Aussenpolitischen Strategie 2020–2023› zusammengefasst. Diejenigen für den Mittleren Osten und Nordafrika in der ‹MENA Strategie 2021– 2024». Während in der Aussenpolitischen Strategie die Beachtung der Neutralität zu den Prinzipien gehört, findet in der MENA-Strategie die entsprechende ‹Gleichbehandlung der Konfliktparteien› keine explizite Erwähnung. In dieser versteht sich die Schweiz lediglich als ‹neutrale Akteurin ohne koloniale Vergangenheit›. Die Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) sieht in dieser ‹Differenz› den wesentlichen Grund, weshalb im israelisch-arabisch-palästinensischen Konflikt die ‹Gleichbehandlung der Konfliktparteien› durch den Bundesrat nicht gelebt wird, und zwar seit Jahrzehnten nicht. Die GSI legt im Folgenden anhand aktueller Beispiele dar, wie verschieden das aussen und sicherheitspolitische Instrument Neutralität im Zusammenhang mit der Nahostpolitik und insbesondere im Konflikt Israel-Palästina interpretiert, gewichtet und angewendet wird.
Namentlich im israelisch-palästinensischen Konflikt hat der Bundesrat seit der Amtszeit von Bundesrat Pierre Graber eine zusehends ‹reservierte› Positionierung vorgenommen. Der Trend hielt auch unter Bundesrat Pierre Aubert an, der vor seinem Amtsantritt Zentralpräsident der Gesellschaft Schweiz-Israel war, und dauert bis in die heutige Zeit an.» Im Juni letzten Jahres konnten wir mit vier Botschafterinnen und Botschaftern des EDA auf Veranlassung von Bundesrat Ignazio Cassis über unser Memorandum reden. Der Beginn eines Dialogs, der weitergeführt wird und nicht beendet ist.
Im kommenden Jahr feiert Israel sein 75-jähriges Bestehen. Sicher haben sich die anfänglichen Vorbehalte der Schweiz gegenüber Israel verflüchtigt, sind guten und freundschaftlichen bilateralen Beziehungen gewichen. Auf allen Ebenen. In der Wissenschaft, in der Kultur, in der Wirtschaft, in der Zivilgesellschaft. Vielleicht führt das am Montag im Basler Casino geübte Erinnern an den ersten Zionistenkongress zu mehr Entspannung, Lockerheit und Annäherung in der Behandlung von unterschiedlichen Positionen der beiden Länder in der Nahostpolitik.
Corina Eichenberger-Walther ist Zentralpräsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel.
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